Datum 01.08.2009
Besuch aus
Tibet "Habt keine Angst vor China"
Wären
die Chinesen nicht, hätte Soname Yangchen nicht aus ihrer Heimat fliehen müssen
– und sie wäre nie Sängerin geworden. Gerade ist die "Stimme Tibets"
in Deutschland
Als
Soname Yangchen etwa acht Jahre alt, sang sie heimlich zu Kassetten mit
chinesischen Liebesliedern. Sie gehörten der Familie, bei der sie Haussklavin
war. Eines Tages riss das Band. Soname versprach Buddha, den Rekorder nie
wieder anzurühren, wenn er ihr nur helfen würde. Ein Mädchen aus der
Nachbarschaft hatte die gleiche Kassette und schenkte sie ihr. "Ich hielt
das Versprechen etwa einen Monat lang. Dann wurde ich schwach. Ohne Musik
konnte ich nicht leben."
Soname
kam 1973 in Tibet in der
ländlichen Provinz Yarlung zur Welt. Die Chinesen waren schon da. Sie
schikanierten ihre Familie, die aus altem tibetischen
Adel stammt. Trotzdem war Soname glücklich. Bei der Feldarbeit sang sie die
Lieder, die ihre Mutter sie lehrte.
Als
Soname sechs Jahre alt war, endete ihre Kindheit. Die Eltern schickten sie zu
einer Verwandten nach Lhasa, weil sie sie
nicht mehr ernähren konnten. Die Verwandte reichte sie weiter, und Soname kam
zu einer Familie, in der sie, wie sie es in ihrer Autobiografie nennt, das
Aschenputtel war. Sie schrubbte und kochte, schlief in der Küche, wurde
herumkommandiert.
Irgendwann
hörte sie eine Aufnahme mit Michael Jackson: "Ich dachte, er müsse der
beste Musiker sein, den es je gegeben hatte. Das war mein erster Kontakt mit
westlicher Musik – abgesehen von den komischen Autos der Straßenreinigung, die
auf der Hauptstraße hin und her fuhren, Wasser verspritzten und dabei Beethovens
Neunte Symphonie spielten. Das war Chinas Art, Tibet zu modernisieren."
Wenn
Soname auf den Markt ging, sah sie Mönche, die den Verboten der Chinesen zum
Trotz in Prozessionen durch die Stadt wanderten. Im Oktober 1989 hörte sie mit,
wie zwei Geistliche die Flucht aus Tibet planten. Sie fuhr mit, auf einem
Lastwagen versteckt. Bei Zwischenstopps verlor sie die Weggefährten, die wohl
verhaftet wurden. Zufällig fand sie eine Flüchtlingsgruppe. Mit blutenden Füßen
stolperte die 16-Jährige über Himalaya-Pässe, kam halbtot in Dharamsala an.
Soname
schlug sich als Zimmermädchen durch. Ein Mann schwängerte und verließ sie. Als
ihre Tochter Deckyie fast drei Jahre alt war, wusste Soname nicht weiter. Die
Eltern des Kindsvaters boten sich an, die Tochter nach Tibet mitzunehmen.
Soname trennte sich von ihrem Kind, wie ihre Eltern sich von ihr getrennt
hatten. Sie sollte sie erst wiedersehen, als Deckyie längst ein Teenager war.
"Meiner Tochter geht es gut", sagt sie heute, "wir finden
langsam Kontakt."
Soname glaubt an ein Karma: "Bei mir war es so: Immer, wenn ich keinen Weg mehr sah, passierte etwas, und es ging weiter." Sie entkam der stickigen Enge der Exilgemeinde in Dharamsala nach Delhi, arbeitete in einem Sari-Laden, lernte reiche Leute kennen. Ein Franzose verschaffte ihr ein Visum, 1997 flog sie nach Frankreich, kam ein Jahr später nach Großbritannien, heiratete.
Die Lieder ihrer Kindheit fand Soname wieder, als sie auf eine Hochzeitsfeier eingeladen war. Sie fand es traurig, dass niemand musizierte – also stand sie auf und sang. Die Gäste waren begeistert, brachten sie in Kontakt mit Musikern. Sie spielte auf kleinen Festivals, dann auf größeren, nahm erst eine Platte auf, dann noch eine, und wurde von der Presse "Stimme Tibets" getauft.
Fühlt sie sich so, die zierliche Frau? Als Stimme eines ganzen Volkes? "Das klingt so nationalistisch", sagt sie, "würde man von einem Musiker sagen, er ist die Stimme Deutschlands? Die Stimmen Tibets leben in Tibet, das sind Nomaden, Bauern, die bei der Arbeit singen."
Sonames Melodien und ihr Gesangsstil sind tibetisch, aber die Arrangements vereinen die heimatliche Dranyin-Laute, indische Tablas und westliche Streicher, Gitarren, Flöten. "Es ist egal, was die Leute für einen kulturellen Hintergrund haben", sagt sie, "wenn man nur auf sein Ego achtet, kommt man nicht zurecht – wenn man sich öffnet, Harmonie anstrebt, dann findet man Kontakt."
Als Einflüsse nennt Soname Michael Jackson und Bob Marley: "Die sangen für Frieden. So viel Musik ist nur I love you, do love me, I hate you. Künstler haben doch eine Botschaft." Ihre ist – neben dem Werben für die Sache Tibets – jetzt die subtile Warnung vor der Umweltkatastrophe. Auf ihrem nächsten Album musiziert Soname nur mit Naturklängen, mit dem Wind, dem Rauschen der Bäume, quakenden Fröschen. Die Aufnahmen waren schwierig: "Wir waren irgendwo ganz weit draußen in der Natur, und doch kam immer ein Flugzeug, war ein Auto zu hören."
Und Tibet? "Wir können uns nicht von China trennen", sagt Soname, "aber sie müssen uns kulturelle Autonomie geben. Wir müssen verhandeln. Die westlichen Regierungen müssen nicht immer so viel Angst vor China haben." Soname liegt ganz auf der Linie des Dalai Lama, zu dessen Deutschland-Besuch sie angereist ist.
Wären die Chinesen nicht, Soname hätte ihre Eltern nicht verlassen müssen, wäre nicht aus Tibet geflohen, nie Sängerin geworden. "Manchmal, wenn mich jemand fragt, woher ich komme, will ich nicht Tibet sagen." Denn dann muss sie über Politik reden, über ihre ganze Geschichte. "Ich frage zurück: Was glaubst Du? Und wenn der andere sagt: Mongolei, oder Japan, oder China, dann sage ich einfach: ja, daher komme ich."