Datum 10.03.2010
Tibet per Bus
Was willst du hier?
Mit
dem Bus nach Lhasa. Tausend Kilometer. Fünfzig
Stunden. Stephan Thome will sich von der Exotik Tibets beeindrucken lassen. Und
ist beeindruckt davon, wie fremd er sich fühlt
©
Margret Nielsen
"Ringsum
sehen die Berge ockerfarben und schorfig aus", schreibt Stephan Thome
Drei
Männer sitzen im Büro der Staatlichen Tourismusbehörde in Golmud,
trinken Tee und sehen gelangweilt aus. Der Bus nach Lhasa?
Einer macht sich die Mühe, den Kopf zu schütteln, die beiden anderen glotzen
bloß auf ihre riesigen Schreibtische, die Bodenkacheln und die Thermoskannen
mit heißem Wasser. Kein Bus?, frage ich und ernte
Schweigen. Sie haben nichts zu tun und wollen mit mir nichts zu tun haben,
einem dieser komischen Kerle mit Rucksack. Sofern ihr Gesichtsausdruck
überhaupt etwas verrät, ist es eine an Verachtung grenzende Form von
Unverständnis. Im vergangenen Jahr, als Sprachstudent in Nanking, der
ehemaligen Hauptstadt am Unterlauf des Yangtse, bin ich oft an diese
unsichtbare Barriere aus Fremdheit und Unwillen gestoßen, an der jeder
Kommunikationsversuch abprallt; vor Ticketschaltern, in Geschäften, auf der
Straße. Meistens bekomme ich dann ein Mei you
zu hören, diesen chinesischen Alltagsausdruck, dessen Semantik vom sachlichen
»Nein« über »Gibt’s nicht« und »Haben wir nicht« bis zu einer Andeutung von
»Lass mich in Ruhe« reicht.
Stephan Thome, 37, wuchs in der hessischen
Kleinstadt Biedenkopf auf, von wo es ihn
zunächst zum Studium nach Berlin und dann weiter in
verschiedene Länder Ostasiens zog. Nach seinem ersten
Studienjahr an der Universität Nanking reiste er immer wieder durch China, am liebsten durch
die Randgebiete des Himalaya und
Zentralasiens. Seit 2006 arbeitet der promovierte Philosoph am Institut für Chinesische Literatur und
Philosophie der Academia Sinica
in Taipeh. Für sein
literarisches Debüt »Grenzgang« (Suhrkamp) erhielt er vergangenes Jahr den
Aspekte-Literaturpreis
Das
Studienjahr in China
ist so gut wie vorüber, ich befinde mich auf meiner Abschiedsreise. Der Plan
sieht vor, über Land nach Tibet zu
reisen, um das Hochplateau auf dem sogenannten friendship
highway zu durchqueren, der von Lhasa nach Kathmandu
führt. Ich weiß allerdings bis jetzt nicht, ob das geht. Im Studentenwohnheim
in Nanking, wo ständig Leute zu Reisen aufbrechen oder von solchen
zurückkommen, hat es geheißen, Tibet sei derzeit für Touristen gesperrt. Solche
Gerüchte sind schwer zu verifizieren im Sommer 1996; irgendwo gibt es das
Internet schon, aber nicht in unserem Wohnheim, wo auch kein Zugang zu
ausländischen Medien besteht und den inländischen beim Thema Tibet nicht zu
trauen ist. Ich habe mich einfach auf den Weg gemacht: den Yangtse hinauf in
die Provinz Sichuan
und dann durch die chinesische Peripherie, ärmliche, bergige Gegenden zumeist,
wo nur wenige Han-Chinesen leben und meine rudimentären Sprachkenntnisse keine
Hilfe waren. Nun bin ich in der Stadt mit dem merkwürdigen, aus dem
Mongolischen kommenden Namen Golmud in der Provinz Qinghai. Die Chinesen nennen sie Ge’ermu.
Zweitausendachthundert Meter über dem Meer gelegen, umgeben von Salzseen,
Bergen und karger Vegetation. Der Nachtbus, der mich hierher brachte, schien
immer geradeaus zu fahren, durch den Abend, die Nacht, immer geradeaus, auch am
nächsten Morgen noch.
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Mittags
waren wir in Golmud. Gleißendes Licht fiel auf die
Stadt und vermischte sich mit dem feinen Staub, der von den Ladeflächen
unzähliger Lkw wehte. Salpeter, Magnesium und Salz sind die buchstäblich in der
Luft liegenden Rohstoffe der Region. Alle Straßen, Gebäude und die wenigen
Pflanzen, die ich entdeckte, waren von einer weißlichen Schicht bedeckt. Kaum
angekommen, wollte ich möglichst schnell in den nächsten Bus steigen, um diesem
ungastlichen Ort zu entfliehen. Der Weg nach Lhasa
allerdings führt über das Büro der Staatlichen Tourismusbehörde.