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Impressionen aus Tibet Unter dem löchrigen Dach der Welt
05.
November 2011
Majestätisch
thront der Mount Everest über dem Hochland von Tibet - dabei liegt dieses
ohnehin schon auf einer Höhe von durchschnittlich 4500 Metern. Wenn Tibet, wie
so oft behauptet, das "Dach der Welt" sein soll, dann ist dieses Dach
an vielen Stellen ziemlich löchrig. Im Süden und Westen überragen große Teile
des Himalaya das Hochplateau, im Norden und Nordwesten
sind es die Gipfel von Kunlushan und Karakorum und
auch im Inneren wird es von zahlreichen Gebirgsketten durchzogen.
Da
die Gebirge den meisten Regen abhalten, ist das Klima in Tibet wüstenähnlich.
Alpine Steppen prägen das Landschaftsbild, verschiedene Schattierungen von
Braun und Grau sind die vorherrschenden Farben. Umso mehr sticht der scharfe
Kontrast
Da
die Gebirge den meisten Regen abhalten, ist das Klima in Tibet wüstenähnlich.
Alpine Steppen prägen das Landschaftsbild, verschiedene Schattierungen von
Braun und Grau sind die vorherrschenden Farben. Umso mehr sticht der scharfe
Kontrast
... zum Blau des Himmels und die
gleißende Helligkeit der Schneefelder ins Auge. In der dünnen Luft des
Hochlandes wirken die Konturen von Fels und Gestein schärfer als in der Ebene.
Die meisten der gut fünf Millionen
Tibeter (davon 2,4 Millionen im Autonomen Gebiet Tibet) leben von der Land-
oder Viehwirtschaft. Viele von ihnen ziehen als Nomaden mit ihren Tieren umher.
Der Straßenrand als Schaufenster:
Gehäutete Hammel werden in der Kleinstadt Tingri (Dingri) im Süden Tibets potentiellen Käufern präsentiert.
In einer Stadt im südtibetischen
Kreis Nyalam hilft eine Frau der anderen beim Haarewaschen. Wasser ist im trockenen Tibet ein kostbares
Gut, mit dem sehr sparsam umgegangen wird.
Mal tiefblau, mal smaragdgrün
strahlt die Oberfläche eines Sees unterhalb des Simi-La-Passes im Süden von
Tibet. Der See ist künstlich hinter einer Talsperre aufgestaut worden. Sein
Wasser sichert die Versorgung der Bevölkerung und hilft bei der
Energiegewinnung. Obwohl von Menschen geschaffen, ist der See für die Tibeter
ein heiliger Ort, dem sie mit Gebetsfahnen huldigen. Ihre Religion - die
meisten Tibeter sind Anhänger des lamaistischen Buddhismus - ist ein nicht
wegzudenkender Teil des Alltags.
Gebet im Gehen: Dieser Mann dreht
mit der Hand eine Gebetsmühle, während er im Uhrzeigersinn dreimal einen Tempel
in der tibetischen Hauptstadt Lhasa umrundet. In der
Kapsel steht ein zusammengerolltes Stück Papier, das mit einem Spruch, Lied,
Hymne, vulgo: Mantra, beschrieben ist.
Eine Frau verrichtet ihre Gebete
am Jokhang-Tempel in Lhasa,
einem der heiligsten Orte in Tibet. Die meisten Tibeter unternehmen mindestens
einmal in ihrem Leben eine Pilgerfahrt. Häufig sieht man Pilger an einem heiligen See, einem heiligen Berg, vor allem aber in Lhasa. Sie kommen in Bussen oder zu Fuß, oft über große
Entfernungen.
Der Lang-Kotau ist eine sehr
verbreitete Form des Pilgerns. Die Hände werden zunächst über den Kopf gehoben,
dann wirft sich der Pilger auf den Erdboden und streckt die Arme aus.
Anschließend gleitet er zurück auf die Knie, beugt sich mit der Stirn zum Boden
und wirft sich wieder der Länge nach hin. Manche Pilger machen während der
Reise nach jedem dritten Schritt einen Lang-Kotau. So können ihre Pilgerfahrten
oft Monate dauern, mitunter sogar ein bis zwei Jahre. Man nennt dies "das
Dach der Welt mit dem eigenen Körper vermessen".
Auch die vielen kleinen und
größeren Klöster sind traditionell Ziele von Pilgerreisen. Am Eingang des
Klosters Tashilumpo in Shigatse
(Xigazê), der zweitgrößten Stadt Tibets, läutet diese
Pilgerfamilie dreimal die dort aufgehängte Glocke, damit die Götter wissen: Wir
sind angekommen.
In einem Atelier in Lhasa malt dieser Künstler an einem Thangka.
Auf Leinen, Seide oder Leder werden nach genauen ikonographischen Vorschriften
Szenen aus dem Leben buddhistischer Gottheiten, Mandalas oder das Lebensrad
dargestellt. Zusammengerollt können die Bilder leicht transportiert werden.
Aufgehängt sind sie zur Meditation in Tempeln oder an Hausaltären zu finden.
Waren Thangkas früher wichtige Hilfsmittel für den
religiösen Unterricht, werden sie mittlerweile häufig von Touristen als
Souvenir mit nach Hause genommen.
Lautstark und gestenreich
debattieren Mönche im Sera-Kloster in einem nördlichen Vorort von Lhasa. An sechs Tagen in der Woche, jeweils für zwei
Stunden, kommen die Mönche im Innenhof zusammen, um sich mit den Lehren Buddhas
auseinanderzusetzen. Die Klöster gelten nicht nur als Ort spiritueller
Inspiration, sondern auch als Hüter der nationalen religiösen und politischen
Identität. Sie waren in
der Vergangenheit oft Ziel von Angriffen und Repressalien durch die chinesische
Armee und Regierung. So wurden während der Kulturrevolution (1966-76) Hunderte
Mönche getötet. Immer wieder verhängte die Regierung nach Unruhen der
Ausnahmezustand über Lhasa, zuletzt im März 2008. Die
chinesische Zentralregierung übt seit 1951 die Kontrolle über Tibet aus, das
als Autonomes Gebiet eine Verwaltungseinheit der Volksrepublik ist. Zuletzt
soll es wieder zu mehreren Selbstverbrennungen von
Mönchen und Nonnen gekommen sein, die mit ihren Aktionen gegen die
Vereinnahmung Tibets durch China und für mehr Selbstbestimmung protestierten.
Auch das Rongbuk-Kloster
(Rongpu) am Fuß der Nordflanke des Mount Everest, den
die Tibeter Qomolangma (Chomolungma)
nennen, wurde während der Kulturrevolution zerstört. Mittlerweile leben wieder
Mönche und Nonnen im höchstgelegenen Kloster der Welt auf 5100 Metern über dem
Meeresspiegel und hüten die heiligen Schriften in der Klosterbibliothek.
Wer auf dem Weg zum Basislager am
Mount Everest ist, kommt am Rongbuk-Kloster vorbei -
und nimmt sich vielleicht Zeit für einen kurzen Moment des Innehaltens im
Andachtsraum.
Auf den farbigen tibetischen
Gebetsfahnen, die hier quer über eine Straße am Tso-La-Pass
in der Nähe des als heilig geltenden Yamdrok-Sees
gespannt wurden, sind Gebetsformeln gedruckt. Durch ihre Bewegungen im Wind des
tibetischen Hochlands sollen die Gebete weitergetragen werden, vielleicht bis ...
... zum berühmten Pelkhor-Chöde-Kloster nahe Gyantse. Dort füllt ein Pilger Butterkerzen mit flüssiger
Yak-Butter aus seiner mitgebrachten Thermoskanne auf. Dank dieser Opfergabe
sollen die Seelen verstorbener Angehörigen leichter den Weg durch die
Dunkelheit finden. Erschwert wird dadurch allerdings der Gang der Besucher
durch das Kloster: Oft läuft die Butter aus den Kerzenfässern über und
verbreitet sich als glitschiger Belag auf Steinböden und -treppen.