Menschenrechtsdialog mit China „Zu einem diplomatischen Ritual verkommen“
Der Tagesspiegel
03.02.2012 09:32 Uhrvon Matthias Schlegel
Katrin Kinzelbach ist Politikwissenschaftlerin am Global Public Policy Institute in Berlin. Für ihre Dissertation an der
Universität Wien zum Menschenrechtsdialog zwischen der EU... - Foto:
Körber-Stiftung
Die Politikwissenschaftlerin Katrin Kinzelbach
hat über den Menschenrechtsdialog der EU mit China geforscht – und ist zu
ernüchternden Erkenntnissen gelangt.
Die Bundeskanzlerin will in China über ihre „Überzeugungen und
Werte so sprechen wie in Deutschland“. Wird sich Peking in seiner
Menschenrechtspolitik davon beeindrucken lassen?
Das
hängt davon ab, wie sie das Thema anspricht. Wenn sie nur in allgemeiner Form von
ihren Überzeugungen und Werten spricht, wird es niemanden beeindrucken. Denn
Peking weiß sehr genau, dass westliche Politiker auf die Erwartungen ihrer
Wähler eingehen müssen, insofern werden allgemeine Bemerkungen zum Thema
Menschenrechte als Teil des politischen Pflichtprogramms toleriert. Sollte sie
jedoch konkreter werden, würden ihre Worte natürlich beachtet.
Angela
Merkel repräsentiert als deutsche Bundeskanzlerin nicht nur einen wichtigen
Handelspartner Chinas, sie wird in Peking als vielleicht einflussreichste
Politikerin Europas angesehen. Würde sie persönlich Einzelfälle ansprechen oder
zum Beispiel vor einer Legalisierung heimlicher Hausarreste durch die derzeit
diskutierte Novellierung des Strafprozessrechts warnen, wäre das ein deutliches
Signal.
Sie haben über den EU-Menschenrechtsdialog mit China
geforscht. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?
Der Menschenrechtsdialog der Europäischen Union wurde 1995 auf Vorschlag Chinas
begonnen. Im Gegenzug sollte die EU zusichern, Chinas Menschenrechtssituation nicht mehr öffentlich in der
UN- Menschenrechtskommission zu kritisieren. Das für Peking heikle Thema
Menschenrechte wurde so hinter verschlossene Türen verbannt. Ein diplomatisch
kluger Schachzug, wie Kritiker von Anfang an bemerkten. Aber in der EU hoffte
man Mitte der 90er Jahre auch, dass ein vertraulicher, regelmäßiger Dialog mit
Peking Raum für konstruktiven Austausch bieten könne. Dies hat sich leider
nicht bewahrheitet. Ein wichtiger Grund ist der Gesprächspartner: Das
chinesischen Außenministerium hat kaum innenpolitischen Einfluss und verfolgt
vor allem das Ziel, Kritik aus dem Ausland einzudämmen. Der Menschenrechtsdialog
ist daher zu einem diplomatischen Ritual verkommen. Und es verwundert nicht,
dass die chinesische Delegation dabei in den letzten Jahren immer
selbstbewusster auftritt. Kürzlich hat Peking die Frequenz des
Menschenrechtsdialogs auf einmal im Jahr reduziert, gegen den Willen der EU.
Hat der Menschenrechtsdialog in China etwas bewirkt – wie stellt sich die
Situation im Land heute dar?
Menschenrechtsorganisationen berichten von einer dramatischen Zuspitzung
politischer Kontrolle in China – und von einer Welle außergewöhnlich harter
Haftstrafen für Dissidenten. Es gab aber auch positive Entwicklungen. Zum
Beispiel wurde 2003 eine Form der Verwaltungshaft abgeschafft, 2004 wurde der
Menschenrechtsschutz in die chinesische Verfassung aufgenommen. Seit 2007 wird
jedes Todesurteil vom Obersten Volksgerichtshof überprüft, was vermutlich zu
einem Rückgang der Vollstreckungen geführt hat. Es gibt auch neue Bestimmungen,
die durch Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht anfechtbar machen. All
diese Entwicklungen gehen jedoch vor allem auf inländische Forderungen zurück.
Das westliche Ausland konnte bisher nur durch Druck und Anreize Einfluss
nehmen, so wären die Untersuchungen des Uno-Sonderberichterstatters über Folter
2005 in China ohne Druck aus den USA vermutlich nicht möglich gewesen. Das gilt
auch für mehrere Freilassungen politischer Gefangener. Europas bedingungsloser
Menschenrechtsdialog kann dagegen keine derartigen Erfolge vorweisen.
Die Befürworter der „stillen Diplomatie“ argumentieren, offene
Kritik würde China brüskieren und die Beziehungen insgesamt gefährden. Was ist
daran falsch?
Der institutionalisierte Menschenrechtsdialog isoliert ein brisantes Thema und
erleichtert somit die politischen Beziehungen mit China, das ist richtig. Offene
Kritik wird nicht goutiert, das ist auch richtig. Seit zwei Jahrzehnten setzt
Peking alles daran, genau diese zu unterbinden, zunächst eben mit taktischen
Zugeständnissen und nun mit der Androhung von politischen und wirtschaftlichen
Konsequenzen. Aber das bedeutet nicht, dass offene Kritik falsch ist. Im
Gegenteil – es zeigt, dass Peking auf Kritik empfindlich reagiert.
Die
eigentliche Frage ist doch: Was ist uns die Menschenrechtspolitik wert? Sind
wir bereit, im Namen der Menschenrechte
auch politische und wirtschaftliche Risiken einzugehen? Kurzfristige
Verstimmungen sind wahrscheinlich, aber das langfristige Risiko ist
vergleichsweise klein, das hat nicht zuletzt die deutsche Bundeskanzlerin mit
ihrem durchaus kritischen Ansatz in der Vergangenheit bewiesen.