Zeitgeschehen 25. April 2012
Dalai-Lama-Nachfolger "Die
Politik ist nicht mein Weg"
Urgyen Trinley Dorje
wurde auserwählt, das religiöse Erbe des Dalai Lama anzutreten. Nun kommt er
das erste Mal nach Europa. Imke Vidal hat ihn in Neu-Delhi getroffen.
Urgyen Trinley Dorje,
der Karmapa Lama, in Dharamsala
in Nordindien
Raschen Schrittes,
wie ein vielbeschäftigter Geschäftsmann, durchquert der Karmapa
die Lobby eines Luxushotels in Neu-Delhi. Eskortiert von Sicherheitsbeamten und
Mönchen, vorbei an seinen Anhängern, die sich ehrfurchtsvoll erheben. Der Karmapa – so lautet der Name seines hohen
Priesteramtes – trägt ein rot-orangenes Gewand wie der Dalai Lama, dessen Nachfolger er bald werden soll.
Er ist jung, 25 Jahre alt, seine Eile verbirgt Unsicherheit angesichts der
ausländischen Gäste, die sich unter den Wartenden befinden.
Kaum hat er sich auf
dem modernen Ledersessel in der Lobby niedergelassen, knien ein taiwanesischer
Buddhist und sein indischer Freund vor ihm nieder. Sie legen sich flach auf den
Bauch, berühren den Boden mit der Stirn, die Hände wie zum Gebet zusammengelegt
vor sich ausgestreckt. Immerhin ist der Mann vor ihnen der dritthöchste
Geistliche des tibetischen Buddhismus – ein Heiliger! Das verlangt auch dem
hinduistischen Inder allen Respekt ab.
Der Dalai Lama hält
viel von dem jungen Mönch. Niemandem widmet er mehr Zeit. Sein politisches
Führungsamt hat er im vergangenen Jahr in die Hände des Harvard-Professors
Lobsang Sangay gelegt, der nun die tibetische
Exilregierung führt. Doch wenn sich der Dalai Lama, wie angekündigt, von all
seinen Ämtern zurückgezogen hat, wird es die Aufgabe des Karmapa
sein, der tibetischen Lehre Autorität zu verleihen.
Es gibt keine andere
Wahl. Ein neuer Dalai Lama müsste erst wieder per altem
Brauch, der im indischen Exil kaum durchführbar ist, als kleines Kind zu seiner
Aufgabe bestimmt werden. Der zweithöchste Heilige, der Panchen
Lama, wurde einst von der chinesischen Regierung durch einen parteigenehmen
Platzhalter ersetzt. Hierarchisch an dritter Stelle steht der Karmapa. Er wird nun darauf vorbereitet, ein weltweit
respektierter Geistlicher zu sein. Doch die Rollen sind neu verteilt: Die
Politik soll der Dalai-Lama-Schüler anderen überlassen. "Bitte keine
politischen Fragen an seine Heiligkeit!", sagt sein ständiger
Sicherheitsbeamter.
"China
kann sich nicht von mir abwenden"
Sein bürgerlicher
Name ist Urgyen Trinley Dorje. Er stammt aus Osttibet, wo
er seine frühe Kindheit als Sohn einfacher Nomaden verbrachte. Mit sieben
Jahren wurde er als Wiedergeburt des 16. Karmapa
entdeckt, in die Obhut des höchsten Klosters in Lhasa
übergeben und dort nach tibetisch-buddhistischer Tradition erzogen. Doch seine
Erziehung ist auch eine chinesische. Das zeigt sich noch heute: Mit seinem
taiwanesischen Schüler spricht er in Delhi auf Chinesisch. Ohne Dolmetscher.
Fürs Englische bemüht er dagegen einen Übersetzer.
Die chinesische
Regierung stimmte damals seiner Ernennung zum Karmapa
zu – eine Sensation, wurde er doch nicht
von der KP Chinas, sondern von tibetischen Mönchen auserwählt. Erst danach gibt auch der Dalai Lama im
Exil bekannt, Urgyen Trinles
Dorje als Karmapa
anzuerkennen. Ein kluger Schachzug, denn nun stellt der Karmapa
eine Verbindung her zwischen der Regierung in Peking und ihrem Feind im Exil,
dem Dalai Lama.
"Meine
Anerkennung in China war zwar ein Durchbruch", sagt der Karmapa. Doch andererseits würde die chinesische Regierung
deshalb noch lange nicht seine Funktion respektieren: "Was heißt schon
Anerkennung?" fragt er und fürchtet, dass es kaum mehr als ein
Lippenbekenntnis war. Doch immerhin, die Chinesen müssten zu ihrem Wort stehen:
"China kann sich nicht von mir abwenden, sonst würde die Regierung ihr
Gesicht verlieren."
Am Ende spricht er doch über die
Politik
Allmählich schwindet
seine Nervosität. Er spricht wohlüberlegt und lässt sich Zeit für seine
Antworten. Das verschmitzte Lächeln des Dalai Lama ist ihm nicht zu eigen. Er lacht selten, aber wenn, dann natürlich und
ungezwungen.
Im Dezember 1999
gelang dem Karmapa die lebensgefährliche Flucht über
den Himalaya nach Indien. Über die Flucht denkt er heute nicht ohne Zwiespalt.
Familie, Heimat, das vertraute Kloster hinter sich zu lassen und das eigene
Leben zu riskieren, das alles sei ein Opfer gewesen, betont er. Aber es habe
die Gefahr bestanden, dass er zur politischen Marionette der chinesischen
Regierung werde. Indien dagegen war für ihn das gelobte Land: Hier lebt der
Dalai Lama, hier dürfen die Tibeter ihre Religion frei ausüben, was ihnen in
China verboten ist.
Doch in Indien wird
er nach seiner Flucht misstrauisch empfangen. Trotz aller Gefahren kam dem
indischen Geheimdienst die Flucht zu einfach vor. Nach stundenlangem Verhör
vermutet man gar einen chinesischen Spion in dem damals 14-Jährigen. Er habe
immer die Wahrheit gesagt und auch die Missstände in China kritisiert, sagt er.
Aber er sei rhetorisch kein Hardliner. Und da er von chinesischer Seite nie
offen kritisiert wurde, seien die Inder zum Teil bis heute der Meinung, er müsse
ein Spion Pekings sein.
"Man
muss das Verhalten Chinas im historischen Kontext sehen"
Der Karmapa ist ehrlich empört. "Es gibt keine größere
Beleidigung für einen Tibeter, als ihn einen Spion Chinas zu nennen!" Er
ist enttäuscht, das ist deutlich zu spüren, auch weil der Alltag im Exil mühsam
ist. Er darf sich nicht frei bewegen, muss jede Reise anmelden. Wer ihn treffen
will, muss sich mit einer Passkopie registrieren.
"Wir Buddhisten
glauben nicht an das rein Gute oder Böse. Man muss das Verhalten Chinas im
historischen Kontext sehen. Die Kulturrevolution war eine schwere Zeit, auch
für die Chinesen", sagt er und verwickelt sich am Ende doch noch in die
Politik. Er will China nicht entschuldigen. Aber er weiß: "Der
Tibet-Konflikt muss zwischen China und Tibet gelöst werden. Das geht nur, wenn
das Misstrauen und die gegenseitigen Vorwürfe aufhören."
Ist er also doch
Politiker? Kann ein von China anerkannter Karmapa
nicht bald zur wichtigsten Figur im Tibet-Konflikt werden? "Die Politik
ist nicht mein Weg", entgegnet er. "Aber außerhalb der Politik gibt
es viele Möglichkeiten der Einflussnahme." Vielleicht ist das sein Weg:
ein Dialog jenseits der Politik, um die Tibeter ihrem Ziel, der Autonomie
innerhalb Chinas, näher zu bringen. Vielleicht ist der Karmapa,
der in China nicht nur das Böse sieht, der richtige Vermittler. Ihm könnte
China zuhören. Und sei es nur, um das Gesicht zu wahren.