Welt online 28. Mai 2012

 

China gibt Ausland Schuld an Selbstverbrennungen

Zwei weitere Menschen haben sich in Tibet angezündet. Sie protestieren damit gegen chinesische Repressionen. Peking schiebt die Schuld auf den Dalai Lama und Ausländer, die alles geplant hätten. Von Johnny Erling

Beschreibung: Tibet

© Daniel Dylan Böhmer Der Barkhor-Markt in Lhasa. Hier zündeten sich die beiden Männer am hellichten Tag an

Chinas Tibetpolitik sorgt weltweit wieder für Schlagzeilen: Mit zwei erschütternden Selbstverbrennungen tibetischer Pilgern direkt in Lhasa als auch wegen der zornigen Kritik Pekings an den Regierungschefs von London und Wien, weil sie den Dalai Lama trafen.

Vor dem Heiligtum des Jokhang-Tempel übergossen sich zwei junge Männer mit Benzin und steckten sich in Brand. Sie wurden Opfer Nummer 36 und 37 in der seit drei Jahren anhaltenden unheimlichen Serie von Selbstverbrennungen tibetischer Mönche, Nonnen und Pilger. Aber am Sonntag war es das erste Mal, dass Tibeter auch in der tibetischen Hauptstadt mit versuchten Selbstmorden gegen die chinesische Herrschaft protestierten.

Beide Männer standen plötzlich nachmittags nach 14.16 Uhr, mitten in der Pilgerschar auf dem Barkhor-Markt in Flammen. Die Nachrichtenagentur Xinhua gab die Namen der vermuteten Mönche oder Pilger mit Tobgye Tseten und Dargye an. Sie sollen aus den tibetischen Gebieten Aba in Sichuan und Xiahe in Gansu stammen. Massive Bereitschaftspolizei, die auf Protest-Selbstmorde vorbereitet ist, hätten zwar die Flammen schnell und innerhalb von zwei Minuten löschen können. Aber nur Dargye überlebte die schweren Brandwunden.

Beschreibung: Selbstverbrennungen  tibetischer Mönche

Konflikt mit China

Erneut Selbstverbrennung tibetischer Mönche

Beschreibung: Exiltibeter verbrennt

Protest-Aktion

Exiltibeter stirbt nach Selbstverbrennung

Beschreibung: studiohh_142058-7_44-88759840-still

Rückzug auf Raten

Dalai Lama gibt politische Macht ab

Die Sicherheitsbehörden hätten eine spezielle Untersuchungsgruppe eingesetzt. Xinhua berichtet, dass sich derzeit viele Tibeter in Lhasa aufhalten. Sie feierten ihr Fest "Saga Dawa". Sonntag war der sechste Tag der Feiern, mit denen Tibeter dem dem Geburtstag, der Erleuchtung und dem Tod Buddhas gedenken. Die "Ordnung wurde wieder hergestellt und Chaos vermieden."

Das Gebiet sei abgeriegelt, paramilitärische Polizei verstärkt und die Kontrollen verschärft worden. So berichtete der US-Radiosender Radio Free Asia (RFA), der mit chinesischen Touristen sprach. Nachdem sich so die Nachrichten nicht mehr geheimhalten ließen, erschien auch der Xinhua-Bericht 20 Stunden nach den Selbstverbrennungen.

Reaktion: Noch mehr Repressionen

Lhasa ist aufgrund der gespannten Lage für die meisten ausländischen Besucher gesperrt. Schon seit 2008 ist es für ausländische Journalisten unmöglich, selbst nach Lhasa reisen zu können. Sie sind auf offizielle Nachrichten Chinas oder die der Exiltibeter angewiesen, ohne sich selbst ein Bild der Lage vor Ort machen zu dürfen,

Seit März 2009 und besonders seit März 2011 häufen sich Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche. Exiltibeter nennen sie " Proteste aus schierer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit." Xinhua nannte am Montag auch Zahlen. "Seit März 2011 starben nach Angaben von Qiangba Puncog, Chef des Volkskongresses der Autonomen Region Tibet, mehr als 20 Tibeter nach Selbstverbrennungen. Die meisten waren Lamas, Nonnen oder frühere Mitglieder der tibetischen Geistlichkeit."

Menschenrechtsorganisationen und Exiltibeter haben ohne die beiden neuen Fälle in Lhasa 35 Selbstverbrennungen dokumentieren können, von denen 27 tödlich endeten. Die meisten seien Mönche und Nonnen in den an Tibet angrenzenden Provinzen Sichuan, Gansu und Qinghai gewesen, in denen Hunderte von Klöstern stehen.

Peking und Tibets Sicherheitsbehörden hätten auf jeden Fall mit noch mehr Repression und Erziehungskampagnen gegenüber den Klöstern reagiert, ohne den Widerstand der Mönche brechen zu können. Sie hätten auch zahlreiche tibetische Autoren, Künstler und Lehrer festgenommen oder verurteilt, die auf die verzweifelte Lage der Tibeter aufmerksam machen wollten.

Angebliche Beweise

Peking erlaubt keinerlei öffentliche und schon gar keine unabhängige Untersuchung der Selbsttötungen. Es schiebt die Verantwortung auf die tibetischen Exilregierung und den Dalai Lama.

Die jüngsten Fälle in Lhasa seien "separatitische Versuche", sagte der höchste chinesische Polizeifunktionär Tibets Hao Peng nach Angaben von Xinhua: "Sie setzten die Selbstverbrennungen in anderen tibetischen Gebieten fort und verfolgen die Absicht, Tibet von China loslösen zu wollen."

Das Ausland hätte die Selbstverbrennungen angeordnet und geplant. Als Beweis führt Hao Peng an, dass angeblich Fotos der Personen, die sich anzündeten, im Voraus ins Ausland geschickt wurden, damit ihre Fälle dort dokumentiert werden können. Xinhua zitiert Premier Wen Jiabao, der im März auf einer Pressekonferenz in Peking behauptete, dass die Selbstverbrennungen angestiftet seien, um "Chinas soziale Harmonie zu stören und zu unterminieren."

Vergeltung an Großbritannien

Inzwischen hat Peking seine Kritik an Österreich nach dem Treffen von Kanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger mit dem Dalai Lama verschärft. Sowohl das Außenministerium als auch Chinas Botschaft in Wien äußerten Proteste und warfen Wien Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten ein. Außenamts-Sprecher Hong Lei sprach nach Angaben der "Global Times" von einem "falschen Signal" an die Unabhängigkeitskräfte.

Die scharfmacherische Zeitung "Global Times" zitierte am Montag den Tibetexperten der Pekinger Universität für Minderheuten Xiong Kunxin; Die  "Österreicher wußten, dass sie mit dem Treffen Peking wütend machen." Er warnte: "Wenn es nötig ist, sollte China zu Wirtschafts- oder Handelsmaßnahmen als Vergeltung greifen, um seine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen."

Ein Beispiel, wo China Vergeltung übt, ist Großbritannien. Nach Angaben der Hongkonger "South China Morning Post" hätte Chinas Parlamentspräsident Wu Bangguo, der gerade Europa bereist, einen geplanten Besuch in England gestrichen. Der Grund sei ein Treffen von Premier David Cameron vergangene Woche mit dem Dalai Lama gewesen.  Der tibetische Friedensnobelpreisträger hatte in London den renommierten Templeton Preis verliehen bekommen. Die Preissumme von 1,1 Mio. Pfund stiftete er karitativen Projekten.