Nervöse
Großmacht: Peking macht gegen Mönche und Yak-Hirten mobil
06.06.2012
Militäraktion Jagd auf Tibets Yak-Nomaden
Freiwilliger
Tod in den Flammen: Gegen den verzweifelten Protest der Tibeter fällt Peking
nur ein Mittel ein - mehr Soldaten. Mit großer Härte reagiert die Regierung auf
alles, was nach Unruhe oder Unabhängigkeit klingt. Das bekommen nun auch die
frei umherziehenden Yak-Hirten zu spüren.
Die
Soldaten kommen wie aus dem Nichts. Am Morgen ist das verschlafene Städtchen Xiahe noch eine Idylle wie aus dem Reiseführer. Über dem
imposanten Kloster Labrang auf 3000 Meter Höhe
kreisen Krähen, in der Luft hängt der Geruch von brennenden Wacholderzweigen.
Die Pilger, die zu der großen weißgetünchten Anlage strömen, fackeln sie ab.
Alte Frauen mit langen Zöpfen, Yak-Hirten in Wickelgewändern aus schweren
Stoffen. Meter für Meter robben sich manche durch den Staub, Runde um Runde
drehen andere um Tempel und Gebetstrommeln. Aus den Hallen dringt das tiefe
Röhren und Murmeln betender Mönche.
Am Mittag plötzlich wimmelt die Hauptstraße nur so
von Militäreinheiten und olivgrünen Lastwagen. Gruppen von Soldaten mit
Schutzschild postieren sich vor sämtlichen größeren Gebäuden. Keiner will
sagen, was passiert ist, nur ein chinesischer Taxifahrer plaudert munter:
"In einem Dorf haben Polizisten einen Nomaden halb totgeschlagen.
Gestohlen soll er haben. Daraufhin sind um die hundert von ihnen hierher
gestürmt und haben Krawall gemacht. "
An anderen
Orten Chinas würde eine Horde aufgebrachter Yak-Hirten nicht gleich zur
Großmobilmachung führen. Aber Xiahe in der Provinz Gansu ist kein normaler Ort, und es ist keine normale Zeit.
Peking ist hoch nervös.
Seit über
einem Jahr sieht die Regierung sich mit einer für die Region gänzlich neuen
Protestform konfrontiert: Reihenweise zünden sich in den tibetisch dominierten
Gebieten Menschen an, mindestens 36 Tibeter haben seit März vergangenen Jahres
den Flammentod gesucht. Erstmals
taten zwei von ihnen das am Sonntag im Mai auch in Lhasa
- es war die erste Protestaktion in der Hauptstadt der Autonomen Region Tibet seit den
blutigen Zusammenstößen 2008. Einer stammte aus Xiahe.
Das Kloster Labrang, eine der bedeutendsten
Pilgerstätten auf dem tibetischen Plateau, ist ein Gefahrenherd.
Peking will
Yak-Nomaden domestizieren
Das Gleiche
gilt für die Yak-Nomaden. "Viele kommen aus alten Kriegertraditionen. Die
sind sehr, sehr stark und haben nie starke politische Kontrolle über sich
gehabt", sagt Robert Barnett, Tibetologe an der
New Yorker Columbia University. Doch Peking will sie domestizieren. Seit 2004
bietet die Regierung den Nomaden Häuser in einförmigen, neu gebauten Siedlungen
an. Zur Motivationshilfe werden etliche kleine Schulen nahe den Weidegebieten
geschlossen. "Sie haben uns gesagt, wir sollen in die Stadt ziehen, da
könnten wir die Kinder in die Schule schicken und hätten es bequemer",
sagt der 51-jährige Jutsen.
Er trägt
Hemd und Hose, nur das gebräunte Gesicht mit den hohen Backenknochen lässt die
Nomadenherkunft erahnen. Mit 160 anderen Familien hat er sich in einem
zugewiesenen Wohnblock am Stadtrand niedergelassen. Doch weil viele keine Jobs
finden, gingen sie wieder zurück zu ihren Yak-Herden, die sie erst teilweise
verkauft hatten, sagt Jutsen. Auch mit dem
städtischen Komfort ist es nicht weit her: "Gerade im Winter ist es dröge und kalt hier. Die Heizungen sind schlecht,
zugefrorene Wasserrohre platzen." Den Alten ist es unangenehm, in der
engen Wohnung auf die Toilette zu gehen, sie verrichten ihre Notdurft vor der
Haustür.
Regierung
befürchtet Dominoeffekt
Offiziell
geht es Peking darum, das Grasland vor Überweidung zu schützen. Zugleich sind
der Zentralregierung schwer überschaubare, umherziehenden Volksgruppen
unheimlich. "Etwa eine halbe Million Leute wurde gezwungen, ihren
Lebensstil aufzugeben", so Robert Barnett.
Seit der Eroberung 1950 fürchtet die chinesische
Regierung Unabhängigkeitsbestrebungen der Tibeter - und einen Dominoeffekt auf
andere Gebiete des Riesenreichs, das zu 60 Prozent von Minderheiten bewohnt
ist. Und nachdem Tibeter 2008 in Lhasa gegen die
chinesische Herrschaft gewaltsam aufbegehrt hatten, rüstete Peking im Himalaja
gewaltig auf. Aus der internationalen Presse ist der Konflikt seitdem fast
verschwunden, doch vor Ort hat er sich zugespitzt - und geografisch
ausgeweitet.
Bis Ende
Mai fanden die Selbstverbrennungen vor allem in den östlich gelegenen Provinzen
der Autonomen Region statt, wo die Mehrheit der ethnischen Tibeter lebt.
"In den Achtzigern und Neunzigern war die Lage dort eigentlich sehr
entspannt, und die Leute fühlten sich nicht mehr als Teile einer tibetischen
Volksgruppe", sagt Barnett. "Doch seit dem Crackdown sehen sie sich
wieder als Teil von Großtibet."
Dass die
neue Protestform jetzt auch in die schon lange streng kontrollierte Autonome
Region eingezogen ist, nennt er "eine sehr ernste Entwicklung".
2. Teil: Peking schickt 3000 Soldaten nach Lhasa
Der Unmut über die Zentralregierung zieht sich durch sämtliche Bevölkerungsgruppen: Mönche, Nomaden, die Jugend. Eines der Selbstverbrennungsopfer ist eine Schülerin - sie protestierte gegen die Einführung von Mandarin als einzige Unterrichtssprache in diesem Jahr. Was sich auf dem tibetischen Hochplateau abspielt, nennt der Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter, kulturellen Völkermord. Besonders tief greift der Arm der Kommunistischen Partei Chinas in das religiöse Leben ein.
Dalai-Lama-Bilder sind in den Klöstern verboten. Religionsführer werden zur patriotischen Erziehung nach Peking geholt und müssen nach der Rückkehr die chinesische Propaganda verbreiten. Mönche werden gezwungen, den Dalai Lama öffentlich zu verurteilen. Sie berichten von bezahlten Spionen in den eigenen Reihen. Auch die Bewegungsfreiheit schränkt die Regierung stark ein: "Vor 2008 konnten wir noch Seine Heiligkeit in Indien besuchen. Diesen Februar ist eine Gruppe, die nach Dharamsala pilgerte, bei der Rückkehr verhaftet worden", sagt Mönch Dorjee Tsering.
Der 38-Jährige bekommt die Auflagen deutlich zu spüren. Er zieht viel umher, um von großen buddhistischen Gelehrten zu lernen. "Wohin wir auch gehen, nehmen Polizisten unsere Personalien auf. Für sensible Orte müssen wir erst einen Antrag stellen und uns überall registrieren", sagt Tser.
Das Kirti-Kloster - Brennpunkt des Protests
Auch in Xiahe ist Tsering auf spiritueller Studienfahrt. Als er die Tür zu seinem Hotelzimmer öffnet, schreckt ein Haufen jugendlicher Mönche zusammen. Wie Welpen hängen 13 glatzköpfige Jungs in ihren roten Roben in mehreren Betten aufeinander. Sie kichern und hämmern dann wieder auf ihre Gameboys und Handys ein. Zu seiner letzten Pilgerfahrt hätte Tsering sie niemals mitgenommen. Drei Tage hielt er sich da im legendären Kirti-Kloster bei Aba in der Provinz Sichuan auf - und fühlte sich wie im Krieg.
Das Kirti-Kloster mit seinen rund 2000 Mönchen war schon 2008 ein Brennpunkt der Proteste. Jetzt ist es das Epizentrum der Selbstverbrennungen. 18 Tibeter haben sich allein hier seit 2011 verbrannt. Einer der beiden Tibeter, die sich jetzt in Lhasa angezündet haben, ist ein ehemaliger Kirti-Mönch. In Aba-Stadt, berichtet Tsering, sind die Soldaten auf der Straße überall zu sehen - doch nirgends Mönche. "Sie werden mehr oder weniger im Kloster eingesperrt", sagt Tsering. Das Kloster sei umstellt von Soldaten, normale Stadtbewohner dürften nicht hinein, um den Mönchen Essen zu bringen.
Ähnlich geht es seit Ende Mai wieder in Lhasa zu: Über 3000 zusätzliche Soldaten hat Peking in die tibetische Hauptstadt geschickt. Radio Free Asia zitiert ein offizielles Dokument, wonach sämtliche Autos und Fußgänger in Lhasa gefilzt würden. Um die 600 Tibeter sollen verhaftet worden sein und jeder, der nicht aus der Autonomen Region stammt, aus ihr verwiesen. Sämtliche Touristen wurden am Montag aus den Hotels im Zentrum ausgelagert. Über die permanente Militärpräsenz in Aba sagt Mönch Tsering: "Die Leute belastet das stark. Deshalb wollen sie sterben."
Vor allem wollen sie mit ihren unkoordinierten Verzweiflungstaten etwas erreichen - nur was? Zunächst geht es offenbar darum, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zurückzuerobern. "Wir waren schon immer gegen die Regierung, aber wir sind schwach", sagt Tsering. "Nur die Welt kann uns helfen." Von einem eigenen Staat spricht er nicht. Stattdessen fallen die Stichworte Freiheit, Menschenrechte, Rückkehr des Dalai Lama. "Wir fordern im Moment keine Unabhängigkeit von China", sagt Tsering. "Wir träumen von einem Ende der Militärpräsenz."
Pekings Antwort lautet: mehr Soldaten
Ein Traum, der in immer größere Ferne zu rücken scheint, je mehr Menschen sich verbrennen. Denn Pekings Antwort darauf lautet: mehr Soldaten. Die Schuld für die Selbstverbrennungen weist die Regierung allein dem verteufelten Dalai Lama zu, dessen "Clique" sie anstachele. In der Staatspresse erscheinen die Todesopfer - wenn überhaupt - abwechselnd als Terroristen und als Geisteskranke oder Kriminelle.
Eine Annäherung scheint so unmöglich. Das leiseste Entgegenkommen wäre ein Eingeständnis, an der Situation mit schuld zu sein. Präsident Hu Jintao selbst - bis 1992 Parteichef von Tibet - gilt als Verfechter der harten Linie. Zudem ist die Partei reichlich damit beschäftigt, ihren anstehenden Wechsel an der Führungsspitze im Herbst zu bewältigen. Der Dalai Lama wiederum hat voriges Jahr sein Amt als Chef der Exilregierung abgelegt und hält sich zurück. "Beiden Seiten fehlt es an Führung", so Barnett.
Derweil kochen die Emotionen hoch, die Opfer werden gefeiert wie Märtyrer. Ein Bauer, der sich im März verbrannte, wurde im Beisein von Tausenden Trauernden auf einem Ehrenplatz auf dem Klostergelände bestattet, der bedeutenden Mönchen vorbehalten ist. Auf Karma, einen Mönch Ende 20, hat er tiefen Eindruck gemacht. "Manchmal kann ich nachts nicht schlafen ", sagt Karma. "Ein normaler, ungebildeter Mann mit Frau und drei Kindern ist für sein Land gestorben. Warum nur bringe ich als Mönch das nicht über mich?"
Tibetologe Barnett hält die Situation nur noch für schwer kontrollierbar: "Je mehr Leute sterben und je kompromissloser Peking wird, desto mehr verschwindet die gemäßigte Mitte."
Gegen den
verzweifelten Protest der Tibeter fällt Peking nur ein Mittel ein: mehr
Soldaten. Mit großer Härte reagiert die Regierung auf alles, was nach Unruhe
oder Unabhängigkeit klingt.
Nachdem Tibeter
2008 in Lhasa gegen die chinesische Herrschaft
gewaltsam aufbegehrt hatten, rüstete Peking im Himalaja gewaltig auf. Schon
beim geringfügigsten Anlass marschieren Soldaten auf, um Demonstranten
festzunehmen und abzutransportieren.
Seit über einem Jahr sieht Peking sich mit einer neuen Protestform konfrontiert: Reihenweise zünden sich in den tibetisch dominierten Gebieten Menschen an, mindestens 36 Tibeter haben seit März vergangenen Jahres den Flammentod gesucht.
"Tibet brennt. Es ist genug, China": Ein Exil-Tibeter demonstriert vor der chinesischen Botschaft in Seoul. In China wäre ein solcher Auftritt gefährlich - Präsident Hu Jintao selbst gilt als Verfechter der harten Linie gegen jeglichen Protest.
Das Kirti-Kloster mit seinen rund 2000 Mönchen war schon 2008
ein Brennpunkt der Proteste. Jetzt ist es das Zentrum der Selbstverbrennungen.
18 Tibeter haben sich allein hier seit 2011 verbrannt.
Tibetische
Mönche beim Gebet in Xiahe, wo die Armee Ende Mai
auch gegen eine Gruppe von Yak-Nomaden vorging, die gegen die Brutalität der
Polizei protestieren wollten.
An anderen Orten
Chinas würde eine Horde aufgebrachter Yak-Hirten nicht gleich zur
Großmobilmachung führen. Aber Xiahe in der Provinz Gansu ist kein normaler Ort, und es ist keine normale Zeit.
Peking ist hoch nervös.
Offiziell geht es Peking darum, das Grasland vor Überweidung zu schützen. Tatsächlich sind der Zentralregierung schwer überschaubare, umherziehenden Volksgruppen unheimlich - sie will sie zu einem Leben in der Stadt zwingen.