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China "Ich glaube an den Dalai Lama"
China
verschließt Tibet vor der Welt. Doch viele Tibeter erleben die Übermacht der
Herrscher außerhalb der Unruheregion. Wie ergeht es ihnen? Eine Reise durch die
chinesische Provinz
Tibeter und
Ausländer werden nicht vorgelassen zum Geburtshaus des Dalai Lama in der
westchinesischen Provinz Qinghai. Schuld seien die
Unruhestifter in Lhasa, erklären die Polizisten. Sie
stehen an der Auffahrt einer Bergstraße rund eine Stunde südwestlich der
Provinzhauptstadt Xining.
Das
Heimatdorf des tibetischen Oberhaupts liegt nur ein kleines Wergstück entfernt
auf der anderen Seite der rot-braunen Berge. Ein Verwandter des Dalai Lama, der
72-jährig im indischen Exil lebt, wohnt dort noch. "Sein Haus sieht aus
wie jedes andere hier", sagt ein blau uniformierter Wachmann, " es
gibt nichts Besonders zu sehen."
Gewöhnlich
kann man in einer restaurierten Kapelle das Bett und den Thron des mit zwei
Jahren als 14. Dalai Lama erkannten Jungen besichtigen. Auch hängen Bilder der
Familie in einem Seitenraum. Fotos des Dalai Lama sind sonst in China verboten.
Der Dalai Lama habe zuletzt 1959 seinen Geburtsort besucht, sagt der Polizist.
Aber die Tibeter hier glaubten sowieso nicht mehr an ihn. Sie seien sinisiert. Früher wären sie Hirten gewesen, nun seien sie
Bauern wie die Chinesen, bauten Weizen und Kartoffeln an, erzählt er.
Ein blauer
Lastwagen stoppt an der Polizeikontrolle. Sieben Tibeter möchten ins Dorf
hinauf fahren. Zum traditionellen Ahnenfest wollen sie die Gräber ihrer
Vorfahren schmücken. Die Frauen tragen festliche, bunte Gewänder und
Fuchspelzmützen.
"Ich
glaube an den Dalai Lama", sagt einer der Männer, die dunkle Anzüge
tragen. "Sein Haus ist etwas ganz Besonders." Er verstummt, als der
Polizist näher kommt. Der Wachmann lächelt und winkt den Lastwagen durch. Das
seien ja Anwohner und keine Fremden, sagt er.
Von solcher
Nachsicht mit Freunden des Dalai Lama ist die Pekinger Regierung nach wie vor
weit entfernt. Für sie ist der Dalai Lama der Staatsfeind Nummer Eins. Ihr ist
sein Charisma wohl unheimlich, seine große Unterstützung in aller Welt
unerklärlich.
Also hält
die Pekinger Propaganda daran fest, dass der Dalai Lama sämtliche Proteste
organisiert und angeheizt hat. Seit Tagen hetzen alle offiziellen chinesischen
Medien gegen die "Dalai-Lama-Clique".
Dabei war
der Dalai Lama der erste, der versuchte, die weiterhin zunehmenden Konflikte
zwischen Tibetern und Peking zu entschärfen. Er drohte sogar mit seinem Rückzug
aus der Politik, wenn seine Landsleute weiter gewalttätig protestieren würden.
Die Lage in Lhasa hat Peking nun unter Kontrolle. Doch die
Demonstrationen der Tibeter beschränken sich längst nicht mehr auf die
Hauptstadt am Himalaja. In den Nachbarprovinzen Sichuan,
Gansu und Qinghai gehen
immer wieder Tibeter auf die Straße.
Rund 200
Geistliche und 800 Zivilisten zogen am Samstag von der Stadt Hezuo in Qinghai ins 25 Kilometer
entfernte Xiapagou in der Nachbarprovinz Gansu. Sie riefen nach der Rückkehr des Dalai Lama und
forderten ein freies Tibet. Auf dem Rathaus von Xiapagou
hissten sie die tibetische Flagge. In der Provinz Qinghai
trugen Mönche des Klosters Rebkong die Flagge Tibets
und Bilder des Dalai Lama durch die Straßen der Stadt Gardze.
Die Mönche
des Klosters Taer im Westen Qinghais
hatten einem nächtlichen Geheimtreffen mit ZEIT online in Xining schon
zugestimmt. Sie wollten berichten von ihren unterdrückten Protesten, von der
Belagerung durch die Militärpolizei und dem Telefonverbot. In ziviler Kleidung
wollten sie sich aus dem Kloster schleichen. Doch dann erfuhren sie, dass
andere Mönche samt ihrer studentischen Übersetzter verhaftet worden waren. Das
Risiko sei ihnen zu groß, ließ ihr tibetischer Kontaktmann ausrichten.
Aus Lhasa sollen Tibetern Reisen in andere Provinzen möglichst
erschwert werden. In der Eisenbahn von Lhasa nach
Xining sind die chinesischen Reisenden in der Mehrheit. Beim Einstieg in der
Hauptstadt Tibets gibt es außergewöhnlich strenge Kontrollen der bewaffneten
Militärpolizei.
Auf dem
Vorplatz des überdimensionalen Bahnhofgebäudes stehen Militärlastwagen und
mehrere Dutzend Polizisten. Wer keinen Personalausweis und Ticket hat, darf das
Gelände nicht betreten. Polizisten durchleuchten das Gepäck. Wieder überprüfen
sie Tickets und Ausweise.
Beim
Einsteigen auf dem weißen futuristischen Bahnsteig nehmen die Zugbegleiter
allen Passagieren die Papiere ab. Sie notieren die Personalien und rufen dann
die Besitzer der Ausweise einzeln auf.
Aus Angst
vor den Protesten der Tibeter ist ein chinesischer Händler in brauner Jacke mit
seiner Familie aus Lhasa geflüchtet. "Aber nicht
alle Tibeter sind schlechte Menschen." Seit acht Jahren pendelt er
zwischen seiner Heimat im Osten der Provinz Gansu und
Lhasa. Der Vater zweier Kinder verkauft Kleider. Das
Geschäft gehe gut. Im Alltag gebe es keine Reibereien mit den tibetischen
Kunden. Ob die Religion bei den Protesten eine Rolle gespielt habe, wisse er
nicht. "Ich kann gar
nicht sagen, was die da so machen", meint der Geschäftsmann nachdenklich,
"ich nehme ja nicht daran teil."
Proteste
und Konflikte kennen die rund 200 Bewohner des Dorfes Hongyan
nur aus dem Fernsehen. Im Ort an der Westgrenze der Provinz Qinghai
leben genauso viele Tibeter wie Chinesen. Alle Häuser sind aus Ziegelsteinen
und Lehm gebaut. Alle haben Strom und fließendes Wasser.
Im
Wohnraum einer tibetischen Familie tafelt gerade eine zehnköpfige
Geburtstagsgesellschaft. "Hier herrscht Harmonie zwischen den
Völkern", ruft der Gastgeber. Mit einem tibetischen Landsmann und vier
Chinesen feiert er das fünfte Lebensjahr seiner Tochter.
Allen geht
es immer besser, alles ist friedlich, stimmt sein chinesischer Nachbar ein. Sie
kreuzen die Arme und trinken einen Schnaps zusammen. Außer Torte stehen noch
Yak- und Rindfleischplatten auf dem langen Tisch. Gegenüber der Tür hängt eine
große Wanduhr mit einem Mao-Bild. Im Zimmer steht das Hochzeitsfoto des
Tibeters mit seiner chinesischen Frau.
Abends
erteile man hier den Tibetern immer politischen Unterricht, sagt ein älterer
Chinese in der Runde. Alle lachen. Sie seien schon sinisiert,
erklärt der Hausherr. In seiner Kindheit habe er mehr Tibetisch gegessen. Dass
sein Kind bald besser Chinesisch als Tibetisch spreche, sei für ihn ein Teil
der Modernisierung.
Auch
Religion und der Dalai Lama seien ihm und dem anderen tibetischen Freund nicht
mehr so wichtig. Der nächste Tempel liege 60 Kilometer entfernt. "Das
Wichtigste ist, dass sich der Lebensstandard immer mehr verbessert", sagt
ein junger Chinese, "einen Tempel hier in der Nähe zu bauen, wäre doch
Geldverschwendung." Er lacht und stößt den Gastgeber an. Der schweigt ganz
plötzlich.
Einsam
treibt der tibetische Schäfer Zhe Gujia
(Name geändert) rund einen Kilometer östlich des Dorfes seine Tiere über der
Straße. 250 Schafe besitzt er, 100 Rinder und 50 Yaks.
Der Tibeter mit der roten Wollmütze und der hellen Stoffhose wohnt mit Frau und
drei kleinen Kindern rund 300 Meter von der Hauptstraße entfernt. Hinter seinem
Haus liegt weit und breit nur grüne Steppenlandschaft.
Das Leben
sei hart, sagt Zhe. Seine Eltern seien auch Schäfer,
sie leben nur ein paar Kilometer weiter östlich der Straße. Den Gebetsbaum
hinter dem neuen Hausanbau mit Glasdach hat der 25-jährige selbst errichtet.
Ein Dutzend bunte Tücher sind von der Spitze des weißen Mastes im Boden
befestigt.
Davor steht
ein Steintrog für Weihrauchstäbchen. Ein Mal in der Woche zündet
er hier erst die Stäbchen an, verbeugt sich und
geht denn drei Mal um den Baum herum. Manchmal gebe es Reibereien mit den
Chinesen, sagt Zhe leise. Und ja, er glaube an den
Dalai Lama.