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10. November 2012

Parteikongress in Peking Mit Feuerlöschern gegen Selbstverbrennungen

Während beim 18. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas in Peking eine neue Führung bestimmt werden soll, wächst die Angst vor Aufständen. Immer mehr Tibeter verbrennen sich selbst, um gegen die Landesführung zu protestieren. Pekings Reaktion: Die Regierung platziert Feuerlöscher auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

 

von Ruth Fend Peking

Feuerwehrmänner auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking - ...  Feuerwehrmänner auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking - so will die Regierung Selbstverbrennungen verhindern

Freitag Nachmittag ist die Welt im Tibet-Raum der Großen Halle des Volkes noch in Ordnung. Einige der Gesandten der Autonomen Zone Tibet tragen bunte Trachten, sie sitzen vor großen Gemälden von imposanten Bergriesen. Der Parteichef der Hauptstadt Lhasa, Zizara, zählt all die Fortschritte in der Autonomen Zone auf und verkündet schließlich: "Die Tibeter leben heute so glücklich wie noch nie."

Es ist eine kühne Behauptung. Während Zizaras Delegation beim 18. Parteikongress in Peking diese und nächste Woche die neue Führungsspitze der Kommunistischen Partei Chinas bestimmt, gehen in der tibetisch dominierten Provinz Qinghai die Bewohner auf die Straße. Noch an dem Tag, an dem die tibetische Delegation sich in Peking der Presse präsentiert, protestierten Exilgruppen zufolge früh morgens über 5000 Menschen in der Provinzstadt Tongren. Der Auslöser: Am Mittwoch hatte sich in Tongren eine 23-jährige Mutter aus Protest gegen die Regierung in Flammen gesetzt, am Donnerstag verbrannte sich ein 18-jähriger ehemaliger Mönch. Vier weitere Selbstverbrennungen fanden in nur zwei Tagen statt - darunter zwei Teenager, 15 und 16 Jahre alt.

Seit 2009 haben sich damit 69 Tibeter in Brand gesteckt, nur wenige konnten gerettet werden. Wie schwer es für die Regierung ist, auf diese neue Protestform zu reagieren, sieht man dieser Tage direkt vor der Großen Halle des Volkes, auf dem Platz des Himmlischen Friedens: Wo die Armee 1989 auf Studenten schoss, haben sich jetzt mobile Spezialteams in orange mit Feuerlöschern postiert. Nicht auszudenken, wenn sich direkt vor den Augen der Delegierten, die gerade die Einheit Chinas und der Partei zelebrieren, Tibeter anzünden sollten.

 

 

 

 

Aber auch der Umgang mit den Protesten in Tongren ist ein Drahtseilakt für Peking. Seit den Tibet-Aufständen 2008 gehen die Sicherheitskräfte hart gegen jedes Anzeichen von Protest vor. Doch den Berichten von Organisationen wie "Free Tibet" zufolge sind es vorwiegend Schüler und Studenten, die am Donnerstag und Freitag auf die Straße gingen. egen Jugendliche gewalttätig vorzugehen, die auch noch in Reaktion auf gewaltfreie Verzweiflungsakte aufstehen, wagen die Behörden offenbar nicht. Zwar soll der Distrikt noch voller mit bewaffneten Polizisten sein als sonst - doch die griffen auch dann nicht ein, als Schüler und Studenten vor dem lokalen Regierungsbüro eine chinesische Fahne herunterrissen.

"Ich kann mir vorstellen, dass sich auch noch Schüler verbrennen"

Schon mehrfach haben die Schüler von Tongren, das auf tibetisch Rebkong heißt, aufgemuckt. Das hügelige Städtchen auf fast 3000 Meter Höhe war bislang vor allem berühmt für sein Kloster mit riesigen Thangka-Gemälden. Doch Anfang des Jahres machten Schüler wie Dolma Schlagzeilen. "Wir haben unsere Lehrer in die Klassenzimmer eingesperrt und die Bücher aus dem Fenster geworfen", erzählt die 17-Jährige in dem blau-weißen Trainingsanzug und der Brille an einem sonnig-frischen Tag im März. Der Grund: Wie in der ganzen Provinz wurde auch in Tongren der Lehrplan für alle Schulen auf Mandarin eingeführt.

Dolma und ihre Mitschüler fürchten den Verlust ihrer Kultur und - angesichts der schlecht chinesisch sprechenden Lehrer - um ihre Bildungschancen. Schon 2010 zogen sie durch die Straßen und skandierten Slogans wie "Gleichheit für alle Ethnien" and "Freiheit für die Sprache!" Dann sagt sie, ganz nüchtern, einen grausigen Satz: "Ich kann mir schon vorstellen, dass sich auch noch Schüler verbrennen."

Aus der Ferne ist es schwer nachvollziehbar, was die Tibeter - Mönche, Mütter, Schüler, Bauern - zu ihren Verzweiflungsakten treibt. Spricht man mit Mönchen in der Region, wird deutlicher, was die Tibeter mit kultureller Repression meinen: Nicht nur ist es ihnen verboten, den Dalai Lama zu verehren und Bilder von ihm aufzuhängen. Einflussreiche Lamas und Klostervorsteher werden auch zur Indoktrination nach Peking geholt und gezwungen, die Parteilinie in ihre Klöster hineinzutragen. Dort wimmelt es von bezahlten Spionen. Versammlungen außerhalb der Gebete sind vielerorts tabu, die Bewegungsfreiheit durch Checkpoints stark eingeschränkt. "Die Leute sind wirklich gestresst von all dem Militär und der Polizei", sagt einer von ihnen. Und seit der brutalen Niederschlagung der Tumulte 2008 bleibe ihnen keine andere Protestform mehr als Gewalt gegen sich selbst.

Parteitag in Peking Volkskongress ohne Volk

In der Farbe der Partei gekleidet und mit einem Dauerlächeln auf dem Gesicht begrüßen Hostessen die Spitzenpolitiker. Mehr als 2000 handverlesene Delegierte sind zum Parteitag zusammengekommen. Das Treffen soll bis zum 14. November dauern.

Auch die in Peking lebende tibetische Publizistin Tsering Woeser hat das Gefühl in einem Blog beschrieben, in Tibet eine Fremde im eigenen Land zu sein. Die Regierung hat sie als Dissidentin abgestempelt - und daher aufgefordert, die Hauptstadt vor dem Parteikongress zu verlassen. Auf dem Weg in ihre Heimatstadt Lhasa wird sie an einem Checkpoint gestoppt. Als die Polizisten an ihrem Ausweis erkennen, dass sie Tibeterin ist, heißt es: "Tibeter, raus aus dem Auto! Hast du eine Genehmigung, Tibet zu betreten? Wenn nein, kommst du nicht rein!"

Der Grund: 90 Prozent der Selbstverbrennungen hat in den tibetisch dominierten Provinzen außerhalb der eigentlich als "Tibet" bezeichneten "Autonomen Zone Tibet" mit der Hauptstadt Lhasa stattgefunden. Die Regierung fürchtet, dass die Tibeter aus dem Hinterland das Feuer in die Zone hineintragen. Jede weitere Selbstverbrennung heizt die Emotionen der Tibeter weiter an.

 

 

Lhasa selbst, so versichert Parteichef Zizara auf dem Kongress in Peking, sei in ständiger Alarmbereitschaft, innerhalb von nur zwei Minuten könnten überall "Rettungsteams" zur Stelle sein. Schuld an den Taten haben Zizara zufolge allein "üble Kräfte" aus dem Ausland - und der Dalai Lama. Ausländische Journalisten dürfen die Autonome Zone seit 2009 nicht mehr betreten und können sich daher kein eigenes Bild der Lage machen. Da bleibt nur der Glauben an das, was Zizara behauptet: Dass Lhasa im internen Ranking seit vier Jahren die "Nummer eins unter den glücklichen Städten Chinas" ist.