05.
Dez. 2012
Verzweifelte Tibeter
Selbstverbrennungen
– China gibt Dalai Lama Schuld
Seit
Anfang November haben sich 27 Tibeter aus Protest gegen das Pekinger Regime
angezündet. China schiebt die Schuld den Exiltibetern zu, seine Medien
berichten kaum noch über die Verzweiflungstaten. Von Johnny Erling
Foto:
dapd
Exiltibeter
bekunden in der indischen Hauptstadt New Delhi ihrer Solidarität mit den
Tibetern, die sich selbst angezündet
Es
begann als vereinzelte Verzweiflungstat unter Tibetern. Längst aber sind
Selbstverbrennungen in den Minderheitengebieten der Provinzen Sichuan, Gansu oder Qinghai zu einer Protestserie eskaliert. Ihre unfassbaren
Zahlen lösen nur hilfloses Grauen aus.
Am
Sonntag übergoss sich erneut ein 17 Jahre alter Tibeter in Xiahe
in der Nähe des tibetischen Klosters Bora in der Provinz Gansu
mit Benzin. Er soll sich unter Rufen gegen die Unterdrückung der Klöster und
für eine Rückkehr des Dalai Lama öffentlich angezündet haben. Seit Anfang
November, als Chinas Parteitag mit seinem Generationenwechsel Hoffnungen auch
auf einen Neuanfang in der Tibetpolitik weckte,
demonstrieren täglich junge Tibeter, dass sie nichts mehr von Peking erwarten.
Der
17-Jährige sei der 27. Fall einer Selbstverbrennung seit Anfang November, hieß
es in einem Bericht der exiltibetischen Regierung im indischen Dharasalam.
Mehr als 90 Selbstverbrennungen seit
2009
Statistiken
von Menschenrechtsgruppen zählen seit Frühjahr 2009 mehr als 90 solcher
Selbstmordversuche unter Tibetern innerhalb Chinas. Weitere fünf Selbstverbrennungen
sollen Exiltibeter in Indien und Nepal aus Solidarität unternommen haben. Die
Mehrheit der Opfer, unter denen ein Dutzend Nonnen und tibetische Frauen waren,
starb sofort oder Tage später an den schweren Brandwunden.
Foto:
dpa Der Dalai Lama, das spirituelle Oberhaupt der Tibeter
Das Signal scheint Pekings Politik nicht aufzurütteln. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete anfangs noch die meisten Selbstanzündungen als "Einzelfälle" angeblich "entwurzelter" oder aus den Klöstern entlassener Tibeter. Sie seien für die Anstiftung oder Aufhetzung durch Tibets geistliches Oberhaupt, den Dalai Lama, anfällig gewesen.
Protest
Tibeter trauern nach erneuten Selbstverbrennungen
In den vergangenen Wochen, in denen sich die Protestverbrennungen häuften, berichtete Xinhua auffallend wenig, nur noch über vier "Vorfälle". In einer grotesken Reportage lobte sie am 19. November die "Feuerwehr in Mönchsroben". Überall würden junge Mönche in den Klöstern im Löschen ausgebildet. Die Selbstverbrennungen wurden nicht erwähnt.
Tibet-Konflikt
Dalai Lama über den
chinesischen Führungswechsel
China verbietet internationale
Untersuchung
Im
jüngsten Fall von Xiahe könnte der junge Tibeter
überlebt haben, zitieren Exiltibeter Augenzeugen. Polizisten vor Ort hätten das
Feuer löschen und den Schwerverletzten in ein Krankenhaus bringen können.
Überprüfbar sind diese Berichte nicht. Zuletzt im Frühsommer 2008 durften ausländische Journalisten, unter ihnen auch der
Korrespondent der "Welt", Xiahe auf einer
organisierten Reise besuchen, wenige Wochen nach den Unruhen von Lhasa.
Im
Kloster Labrang nutzten damals zwei Dutzend Mönche
die Gelegenheit, um vor den Pekinger Journalisten in einem improvisierten Umzug
gegen ihre Unterdrückung zu protestieren. Die Behörden rächten sich später an
ihnen. Sie sorgten zugleich dafür, dass Pekinger Korrespondenten seit dem Jahr
2009 nicht mehr nach Tibet reisen können. Diese sind nun auf offizielle
chinesische Nachrichten, zufällige Beobachtungen von Touristen oder
Informationen der Exiltibeter angewiesen.
Die
Regierung erlaubt auch keine internationale Untersuchung der Serie an
Selbstverbrennungen.
Sie
begann im Frühjahr 2009 mit dem Tod eines Mönches aus dem Kloster Kirti in Sichuan. Die
Unterdrückung des Klosters wurde zum entscheidenden Auslöser des Protests.
Mindestens zehn der Tibeter, die sich verbrannten, sollen Mönche aus Kirti gewesen sein.
Propaganda: Dalai Lama als
"geistiger Brandstifter"
Pekings
Propaganda beschuldigt pauschal die Exiltibeter, die Hintermänner der
Protestbewegung, und den Dalai Lama, "geistige Brandstifter" zu sein.
Der
77-Jährige wies diese Vorwürfe Ende November erneut zurück. In einem Interview
mit dem indischen Fernsehsender Doordarshan sagte er:
"Was in Tibet passiert, lässt mich weinen. Das machen Menschen nur, weil
sie in ständiger Furcht leben."
Die
Selbstverbrennungen seien ein Symptom für Probleme, für die sie nicht
verantwortlich seien. Die Behörden müssten die wahren Untersachen für die
Proteste herausfinden. Chinas neue Führer zeigen kein Zeichen des Umdenkens,
etwa um den Dialog mit dem Dalai Lama wieder aufzunehmen.
Pekings Regime verbittet sich
Einmischungen
Die
Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des EU-Parlaments, Barbara Lochbihler, forderte Peking gerade zu einem solchen Schritt
auf.
Anfang
November hatte sich bereits ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums
jede internationale Einmischung verbeten, auch und gerade durch die
UN-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay. Sie
verlangte, dass China dialogbereit ist und seine Tibetpolitik
auf den Prüfstand stellt, um die Gründe für die Selbstverbrennungen
herauszufinden. "Soziale Stabilität lässt sich nicht mit der Unterdrückung
von Menschenrechten erzielen."
Doch
in Pekings Augen haben nur ausländische Mächte und Exiltibeter Schuld.
Auch Behörden in Tibet würgen Kritik
ab
Das
wiederholen gebetsmühlenartig auch Tibets Funktionäre. Der zum Parteitag nach
Peking angereiste Vorsitzende des tibetischen Volkskongresses, Xiangba Puncog, wies Mitte
November darauf hin, dass sich alle Protestaktionen nur in wenigen Klöstern der
tibetisch bevölkerten Randprovinzen abspielten.
Diese
Klöster stünden in engem Kontakt zu den Exiltibetern. In den "1700
Klöstern und unter den 46.000 Mönchen" im heutigen autonomen Gebiet Tibet
hätte es keine Selbstverbrennungen gegeben.
Der
Stadtparteichef von Lhasa verriet aber, dass das
tibetische Kerngebiet auf dem Dach der Welt so hermetisch über Kontrollstellen
überwacht wird, dass alle aus den Nachbarprovinzen anreisenden Tibeter erfasst
werden können.
Zudem
sei Tibets Hauptstadt zur Abwehr von Protestverbrennungen mit einem Netzwerk
mit "stationierten Rettungsteams" überzogen, die innerhalb von zwei
Minuten überall zur Stelle sein könnten. Statt auf Dialog zu setzen, mauern die
Behörden sich weiter ein.