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Heinrich Harrer Der
Bergsteiger, der den Dalai Lama lehrte
Er will die
Welt sehen, lässt sich mit den Nazis ein und wird der Freund des Dalai Lama:
Vor 100 Jahren wurde Heinrich Harrer geboren, dem Hollywood ein Denkmal setzte.
Heinrich
Harrer mit dem Dalai Lama im Juli 1992
Sieben
Jahre in Tibet
machen Heinrich Harrer weltberühmt. Nicht sofort, nicht 1952, als er
sein gleichnamiges Buch veröffentlicht, mit dem Untertitel Mein Leben am
Hofe des Dalai Lama. Erst 1997, als Regisseur Jean-Jacques Annaud
es verfilmt, mit
Landschaftsbildern aus Kanada, den Anden und ein bisschen
auch aus dem Himalaya, Musik von Star-Wars-Komponist
John Williams und mit Brad Pitt, dem jungen Schönen Hollywoods, in der Rolle
des feschen Bergsteigers aus Österreich.
Daheim, in
den Alpen und bei
Bergsteigern, ist Harrer
da schon lange bekannt: seit dem 24. Juli 1938, als er und drei andere
Alpinisten als erste die Nordwand des Eiger bezwingen, die schon so viele das Leben
gekostet hat. Da hat Harrer, geboren am 6. Juli 1912 in einem Dorf in Kärnten als Sohn eines
Postbeamten, gerade sein Staatsexamen als Gymnasiallehrer für Erdkunde und
Sport abgelegt.
Adolf
Hitler hat 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin und
Garmisch-Partenkirchen dem Bezwinger der Eiger-Nordwand eine Goldmedaille
versprochen. Medienwirksam empfängt er die deutsch-österreichische Seilschaft:
Der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich bahnt sich an, der
gemeinsame Erfolg ist ein willkommenes Motiv für die NS-Propaganda.
Eine
SA-Lüge für die Heirat?
Harrer ist
schon vor dem "Anschluss", seit dem Frühjahr 1938, Mitglied der NSDAP und
der SS. In seinem 1938 verfassten Antrag auf Erlaubnis zur Eheschließung mit
Lotte Wegener, der Tochter des 1930 in Grönland verstorbenen deutschen
Polarforschers und Geowissenschaftlers
Alfred Wegener, schreibt Harrer sogar, er sei schon seit 1933 in der
Sturmabteilung der NSDAP gewesen, der SA.
Auf diese
braunen Flecken in der Vita des ewigen Reisenden fällt erst Licht, als der
Hollywood-Film erscheint. Harrer hat sie in all seinen Büchern nie thematisiert.
1997 sagt er von sich, "ich habe ein reines Gewissen". Den SS-Rang
habe er als Sporttrainer bekommen: Er soll die Damen-Ski-Nationalmannschaft
Österreichs trainieren, kommt aber nicht mehr dazu, weil er zu seiner ersten
Expedition aufbricht. Harrer läuft Ski, seit er 17 ist, und hätte um ein Haar
an der Winterolympiade 1936 teilgenommen.
In die
NSDAP sei er nur eingetreten, um Lehrer werden zu können, erklärt Harrer. Die
angebliche SA-Mitgliedschaft sei gelogen gewesen, um die Heiratserlaubnis
leichter zu erhalten. Und er habe auf Unterstützung für seine Expeditionspläne
gehofft: "Die Wahrheit ist, dass ich ein junger armer Schlucker aus
Kärnten war, der sich als Abenteurer und Forscher verwirklichen wollte", sagt er dem Spiegel.
Das gelingt
– mit Hindernissen. Die Deutsche Himalaya-Stiftung schickt ihn 1939 auf eine
Erkundungsexpedition zum Nanga Parbat.
Nach dem Eintritt Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg allerdings werden
Harrer und seine Kollegen im damaligen Britisch-Indien als feindliche Ausländer
interniert.
Einer
Gruppe gelingt 1944 der Ausbruch. Mit Peter Aufschnaiter
schlägt Harrer sich nach Tibet durch, erreicht fast zwei Jahre und mehr als
2.000 Kilometer später im Januar 1946 das religiöse Zentrum Lhasa.
Tibet ist rückständig und neugierig auf das Wissen der Moderne: Aufschnaiter wird Berater der Regierung, hilft
Abwassergräben bauen, Aufforsten, die Ernte verbessern. Harrer arbeitet als
Übersetzer und Fotograf.
Der Bergsteiger, der den Dalai Lama lehrte
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Die Freundschaft mit einem
Mönchsjungen macht auch ihn berühmt
Und dann
kommt der Grund, warum Hollywood 50 Jahre später einen Film über ihn dreht: Er
freundet sich mit einem elfjährigen Mönchsjungen an, Tendzin
Gyatsho, dem 14. Dalai Lama. Harrer unterrichtet ihn
ein bisschen, sie zerlegen Uhren zusammen, und der Österreicher baut dem
religiösen Oberhaupt der Tibeter ein Kino.
Der 8125 Meter hohe Nanga Parbat
in Kaschmir trägt den Beinamen "Schicksalsberg der Deutschen".
Seit den dreißiger Jahren versuchen deutsche Bergsteiger, von der Propaganda
angefeuert, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wenigstens alpinistische
Siege zu erringen. Auf den Mount Everest lassen die Briten sie nicht,
deshalb wird ihr Ziel der Nanga Parbat.
Doch mehrere Expeditionen scheitern tragisch. Das Team um Harrer und Aufschnaiter will nicht zum Gipfel, es soll nur eine
mögliche Route erkunden. Erst 1953 erklimmt ein Tiroler als erster die Spitze
des Berges.
Anfang 1950
beschließt China, Tibet zu "befreien", erobert im Oktober erste
tibetische Städte. Tibets kleine Armee kapituliert. Der Dalai Lama, 15 Jahre
alt, flieht nach Indien,
und Harrer flieht mit ihm. Während der Tibeter noch einmal nach Lhasa zurückkehrt, bevor sich 1959 die Exilregierung in Dharamsala einrichtet, reist Harrer nach Europa aus und schreibt
sein Buch über sieben Jahre in Tibet. Lotte hat sich in seiner Abwesenheit von
ihm scheiden lassen; er hat einen Sohn, den er jetzt zum ersten Mal sieht.
Harrer heiratet noch zwei Mal.
© dpa
Heinrich
Harrer nach der Erstbesteigung der Eigernordwand am 30.11.1938
Sein Buch
wird ein Bestseller und macht Harrer bekannt genug, um ihm das Leben zu
ermöglichen, von dem er geträumt hat: Er besucht die Quellen des Amazonas mit
dem früheren König Belgiens, Leopold III., besteigt als erster Berge in Alaska, in den Anden,
Zentralafrika und auf Neu-Guinea, unternimmt eine Weltreise und Expeditionen in
Afrika, Asien, Ozeanien und
Südamerika.
Das deutsche Fernsehpublikum nimmt er mit, von 1965 bis 1983 läuft seine
Sendung Heinrich Harrer berichtet in der ARD.
Als der Rummel um den Annaud-Film
losbricht, lebt Harrer wieder in seiner Heimat, in der Marktgemeinde Hüttenberg im Kärntner Bezirk St. Veit/Glan. Zu
seinem 80. und 90. Geburtstag besucht ihn der Dalai Lama, der am selben Tag
Geburtstag hat. In Hüttenberg
entsteht ein Tibet-Zentrum,
dessen Eröffnung Harrer aber nicht mehr erlebt: Am 7. Januar 2006 teilt Harrers
Familie den Medien mit, er habe "mit großer Ruhe seine letzte Expedition
angetreten". Der "arme Schlucker aus Kärnten" hat die Welt
gesehen – und wird in seinem Heimatdorf beigesetzt.