Ausbau der Marktstellung in China
Nestlé bietet
chinesischen Konsumenten chinesische Produkte
Nestlé hat mit zwei Akquisitionen eine lange als
unbefriedigend erachtete Marktstellung in China verbessert. Nun wird mit
heimischen Produkten die Nähe zum Verbraucher gesucht.
Der
weltgrößte Nahrungsmittelkonzern und das Land mit den meisten Mündern auf der
Welt – das passt zusammen. Nestlé hat gleichwohl lange Mühe bekundet, sich in
China breiter aufzustellen und so – gemäß der Konzernstrategie – den
Umsatzanteil der Schwellenländer zu erhöhen. Der Durchbruch gelang 2011 dank
zwei Transaktionen, der Sicherung von Mehrheitsbeteiligungen am größten
chinesischen Süßwaren- und Snack-Produzenten, Hsu Fu Chi, sowie an Yinlu Foods, bekannt für Milchgetränke und eine
Reisbrei-Speise namens Congee.
Raum nach oben
Für
2012 rechnet Nestlé mit einer Verdoppelung des Umsatzes im großchinesischen
Raum auf 5 Mrd. Fr., womit das Land nahe zu Frankreich (5,6 Mrd. Fr.) und
Brasilien (5,4 Mrd. Fr). aufrücken würde und sich wohl bald als zweitgrößter
Nestlé-Markt hinter den USA (21,5 Mrd. Fr.) etablieren dürfte. Mit dem Einstieg
bei Hsu Fu Chi und Yinlu kann sich Nestlé in China
über Jahre hinaus zweistellige Wachstumsraten sichern, so der für den großchinesischen
Raum verantwortliche Konzernmanager Roland Decorvet.
Der
Markt bedarf jedoch noch der Entwicklung. Die über 1,3 Mrd. Chinesen verfügen,
verglichen mit Schwellenländern wie Brasilien, Russland oder Mexiko, über ein
noch sehr geringes Durchschnittseinkommen von 3500 $ pro Jahr und wenden für
verpackte Lebensmittel und Getränke einen geradezu winzigen Betrag von 150 $
auf. Der chinesische Konsummarkt befindet sich damit in einem Frühstadium, und
eine Marktsättigung ist noch in weiter Ferne. Um als westlicher Anbieter in
einem Land zu reüssieren, in dem sich die Konsumgewohnheiten fundamental von
jenen Europas und der USA unterscheiden, reicht es aber nicht, mit weltweit
bekannten Marken, wie man sie im Nestlé-Sortiment in großer Zahl findet, auf
Kundenjagd zu gehen.
Kein Griff zum Kit-Kat
Zwar
kann man auch in China mit einem Kaffee-Angebot, das vom Nescafé
bis zu den Nespresso-Kapseln reicht, die Umsätze
steigern und hohe Marktanteile erzielen. Doch bewegt man sich damit in
Produktkategorien, die zwangsläufig nur einen begrenzten Ausschnitt der
chinesischen Bevölkerung ansprechen; von einer echten Kaffeekultur ist die
breite Masse noch weit entfernt. Gleiches gilt auch für den Süßwarenmarkt, wo
sich längst nicht alle international etablierten Nestlé-Produkte verkaufen
lassen. Wer in China Pause macht, greift bestimmt nicht zum Kit-Kat.
Von
der Einführung dieses Schokoriegels in China wurde abgesehen; als zu gering
wurde das Potenzial erachtet. Kit-Kat trifft anscheinend nicht den
Publikumsgeschmack, zumal Chinesen westliche Schokoladeprodukte eher als
Geschenkartikel verstehen und nicht als etwas, das man selber verzehrt.
Mit
dem Unternehmen Hsu Fu Chi hingegen, das in Kaufhäusern Theken mietet, an denen
sich die Kunden aus einem Sammelsurium einzeln verpackter Süßigkeiten oder
salziger Snacks sackweise bedienen und dann nach Gewicht bezahlen, haben die
Schweizer einen Partner gefunden, der ihnen den Weg zum chinesischen
Verbraucher weisen kann. Entscheidend sei das Angebot an populären Produkten,
die als heimisch wahrgenommen würden, erklärt Decorvet.
Zwar hat Nestlé in der Vergangenheit mit einigen auf den lokalen Geschmack
abgestimmten Produkten, etwa mit Snacks, die mit schwarzem Sesam versetzt sind,
das Interesse der Verbraucher wecken können, allerdings nicht in dem Ausmaß,
wie Hsu Fu Chi dies kann. – Dass westliche Nahrungsmittelhersteller in
Kooperationen mit chinesischen Unternehmen besser fahren, ist für Nestlé keine
neue Erkenntnis. Seit 1999 unterhält der Schweizer Konzern eine Partnerschaft
mit dem Schanghaier Unternehmen Totole und
kontrolliert 80% von dessen Aktien. Totole ist
Marktführer im Bereich Hühnerbrühe sowie Gewürzmischungen, Saucen und Suppen.
Der Gründer und Mitbesitzer Rong Yaozhong
ist heute, wie bereits vor zwölf Jahren, als Geschäftsführer tätig und trägt
die Verantwortung für die lokalen Aktivitäten. Unter seiner Ägide hat Totole große Fortschritte gemacht; zwischen 1999 und 2011
haben sich die Erlöse verzwölffacht, und für 2012 wird mit einem Plus von 17%
und einem Umsatz von rund 4 Mrd. Yuan (600 Mio. Fr.) gerechnet.
Das echte Huhn ist gefragt
Totoles Hauptprodukt ist
Hühnerbouillon in Granulatform, ein Artikel, der beim
Zubereiten von Wok-Gerichten als Universalwürzmittel breite Verwendung findet.
Das Verfahren zur Herstellung des Produkts ist erstaunlich aufwendig, weil Totole – wie bei einer Fabrikvisite ersichtlich wird –
tatsächlich echte Hühner verarbeitet und nicht dehydriertes Fleisch-Pulver
verwendet. Der chinesische Verbraucher scheint den Geschmack des echten Huhns
zu schätzen und hegt offenbar großes Vertrauen in die Marke. Nestlé wird zwar
nicht offen mit dem Label in Verbindung gebracht; hinter dem Herstellprozess
von Totole steht aber gleichwohl das technologische
Know-how des Schweizer Konzerns. Außerdem gelangen Ergebnisse aus der Forschung
und Entwicklung (F&E) von Nestlé zur Anwendung, über die das chinesische
Unternehmen ohne Partnerschaft nicht verfügen würde. Dies macht sich nicht
zuletzt im Bereich Hygiene und Lebensmittelsicherheit bezahlt, der in China
immer wichtiger wird. Eines der beiden von Nestlé in China betriebenen
F&E-Zentren ist direkt in die Totole-Fabrik
integriert.
Dieses
Konzept gilt es nun auch auf Hsu Fu Chi und Yinlu zu
übertragen. Kontinuität und chinesische Identität sind gefragt. Die
Gründerfamilien der beiden akquirierten Gesellschaften sollen langfristig als
wichtige Anteilseigner und als Führungskräfte involviert bleiben und damit auch
die Produktstrategien und die Verkaufsmodalitäten bestimmen. Die Anbindung an
Nestlé wiederum sorgt für eine Qualitätssicherung und für Fertigungsprozesse,
die sich auf dem neusten Stand der Technologie befinden. Die Partnerschaft
stellt nicht zuletzt auch sicher, dass genügend Kapital bereitsteht für einen
rascheren Ausbau der Kapazitäten.
Forschungsoffensive
Nestlé
wird nun zwei neue chinesische F&E-Zentren in Xiamen und Dongguan errichten, die zur Unterstützung der speziellen
Produkte von Yinlu und Hsu Fu Chi bestimmt sind. Bei
der Tochter Yinlu, deren Umsatzvolumen auf
umgerechnet 1 Mrd. Fr. veranschlagt wird, ist überdies ein Ausbau der
Produktionseinheiten vorgesehen, mit zwei neuen Werken in den Provinzen Anhui und Szechuan; das
Investitionsvolumen beläuft sich auf 500 Mio. $.
Neue
Akquisitionen in China will Nestlé zwar nicht ausschließen; die
Verantwortlichen sprechen aber davon, dass es derzeit genug zu verdauen gebe
und man mittlerweile gut positioniert sei. Einerseits vertraut man auf die
Marke Nestlé, wenn es – wie etwa bei Kaffee – darum geht, als ausländisches
Produkt wahrgenommen zu werden oder – wie im Falle von Babynahrung – das Gefühl
von Sicherheit eines Schweizer Herstellers zu vermitteln. Anderseits verfügt
Nestlé über chinesische Marken, die beim Konsumenten bekannt sind und über
breite Absatzkanäle vertrieben werden; die Fläschchen mit Erdnussmilch der
Marke Yinlu sind in China in mehr als 1 Mio.
Verkaufsstellen erhältlich.