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Ausbau der Marktstellung in China

Nestlé bietet chinesischen Konsumenten chinesische Produkte

Wirtschaftsnachrichten  Heute, 03. Dezember 2013 06:00

Nestlé hat mit zwei Akquisitionen eine lange als unbefriedigend erachtete Marktstellung in China verbessert. Nun wird mit heimischen Produkten die Nähe zum Verbraucher gesucht.

Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern und das Land mit den meisten Mündern auf der Welt – das passt zusammen. Nestlé hat gleichwohl lange Mühe bekundet, sich in China breiter aufzustellen und so – gemäß der Konzernstrategie – den Umsatzanteil der Schwellenländer zu erhöhen. Der Durchbruch gelang 2011 dank zwei Transaktionen, der Sicherung von Mehrheitsbeteiligungen am größten chinesischen Süßwaren- und Snack-Produzenten, Hsu Fu Chi, sowie an Yinlu Foods, bekannt für Milchgetränke und eine Reisbrei-Speise namens Congee.

Raum nach oben

Für 2012 rechnet Nestlé mit einer Verdoppelung des Umsatzes im großchinesischen Raum auf 5 Mrd. Fr., womit das Land nahe zu Frankreich (5,6 Mrd. Fr.) und Brasilien (5,4 Mrd. Fr). aufrücken würde und sich wohl bald als zweitgrößter Nestlé-Markt hinter den USA (21,5 Mrd. Fr.) etablieren dürfte. Mit dem Einstieg bei Hsu Fu Chi und Yinlu kann sich Nestlé in China über Jahre hinaus zweistellige Wachstumsraten sichern, so der für den großchinesischen Raum verantwortliche Konzernmanager Roland Decorvet.

Der Markt bedarf jedoch noch der Entwicklung. Die über 1,3 Mrd. Chinesen verfügen, verglichen mit Schwellenländern wie Brasilien, Russland oder Mexiko, über ein noch sehr geringes Durchschnittseinkommen von 3500 $ pro Jahr und wenden für verpackte Lebensmittel und Getränke einen geradezu winzigen Betrag von 150 $ auf. Der chinesische Konsummarkt befindet sich damit in einem Frühstadium, und eine Marktsättigung ist noch in weiter Ferne. Um als westlicher Anbieter in einem Land zu reüssieren, in dem sich die Konsumgewohnheiten fundamental von jenen Europas und der USA unterscheiden, reicht es aber nicht, mit weltweit bekannten Marken, wie man sie im Nestlé-Sortiment in großer Zahl findet, auf Kundenjagd zu gehen.

Kein Griff zum Kit-Kat

Zwar kann man auch in China mit einem Kaffee-Angebot, das vom Nescafé bis zu den Nespresso-Kapseln reicht, die Umsätze steigern und hohe Marktanteile erzielen. Doch bewegt man sich damit in Produktkategorien, die zwangsläufig nur einen begrenzten Ausschnitt der chinesischen Bevölkerung ansprechen; von einer echten Kaffeekultur ist die breite Masse noch weit entfernt. Gleiches gilt auch für den Süßwarenmarkt, wo sich längst nicht alle international etablierten Nestlé-Produkte verkaufen lassen. Wer in China Pause macht, greift bestimmt nicht zum Kit-Kat.

Von der Einführung dieses Schokoriegels in China wurde abgesehen; als zu gering wurde das Potenzial erachtet. Kit-Kat trifft anscheinend nicht den Publikumsgeschmack, zumal Chinesen westliche Schokoladeprodukte eher als Geschenkartikel verstehen und nicht als etwas, das man selber verzehrt.

Mit dem Unternehmen Hsu Fu Chi hingegen, das in Kaufhäusern Theken mietet, an denen sich die Kunden aus einem Sammelsurium einzeln verpackter Süßigkeiten oder salziger Snacks sackweise bedienen und dann nach Gewicht bezahlen, haben die Schweizer einen Partner gefunden, der ihnen den Weg zum chinesischen Verbraucher weisen kann. Entscheidend sei das Angebot an populären Produkten, die als heimisch wahrgenommen würden, erklärt Decorvet. Zwar hat Nestlé in der Vergangenheit mit einigen auf den lokalen Geschmack abgestimmten Produkten, etwa mit Snacks, die mit schwarzem Sesam versetzt sind, das Interesse der Verbraucher wecken können, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie Hsu Fu Chi dies kann. – Dass westliche Nahrungsmittelhersteller in Kooperationen mit chinesischen Unternehmen besser fahren, ist für Nestlé keine neue Erkenntnis. Seit 1999 unterhält der Schweizer Konzern eine Partnerschaft mit dem Schanghaier Unternehmen Totole und kontrolliert 80% von dessen Aktien. Totole ist Marktführer im Bereich Hühnerbrühe sowie Gewürzmischungen, Saucen und Suppen. Der Gründer und Mitbesitzer Rong Yaozhong ist heute, wie bereits vor zwölf Jahren, als Geschäftsführer tätig und trägt die Verantwortung für die lokalen Aktivitäten. Unter seiner Ägide hat Totole große Fortschritte gemacht; zwischen 1999 und 2011 haben sich die Erlöse verzwölffacht, und für 2012 wird mit einem Plus von 17% und einem Umsatz von rund 4 Mrd. Yuan (600 Mio. Fr.) gerechnet.

Das echte Huhn ist gefragt

Totoles Hauptprodukt ist Hühnerbouillon in Granulatform, ein Artikel, der beim Zubereiten von Wok-Gerichten als Universalwürzmittel breite Verwendung findet. Das Verfahren zur Herstellung des Produkts ist erstaunlich aufwendig, weil Totole – wie bei einer Fabrikvisite ersichtlich wird – tatsächlich echte Hühner verarbeitet und nicht dehydriertes Fleisch-Pulver verwendet. Der chinesische Verbraucher scheint den Geschmack des echten Huhns zu schätzen und hegt offenbar großes Vertrauen in die Marke. Nestlé wird zwar nicht offen mit dem Label in Verbindung gebracht; hinter dem Herstellprozess von Totole steht aber gleichwohl das technologische Know-how des Schweizer Konzerns. Außerdem gelangen Ergebnisse aus der Forschung und Entwicklung (F&E) von Nestlé zur Anwendung, über die das chinesische Unternehmen ohne Partnerschaft nicht verfügen würde. Dies macht sich nicht zuletzt im Bereich Hygiene und Lebensmittelsicherheit bezahlt, der in China immer wichtiger wird. Eines der beiden von Nestlé in China betriebenen F&E-Zentren ist direkt in die Totole-Fabrik integriert.

Dieses Konzept gilt es nun auch auf Hsu Fu Chi und Yinlu zu übertragen. Kontinuität und chinesische Identität sind gefragt. Die Gründerfamilien der beiden akquirierten Gesellschaften sollen langfristig als wichtige Anteilseigner und als Führungskräfte involviert bleiben und damit auch die Produktstrategien und die Verkaufsmodalitäten bestimmen. Die Anbindung an Nestlé wiederum sorgt für eine Qualitätssicherung und für Fertigungsprozesse, die sich auf dem neusten Stand der Technologie befinden. Die Partnerschaft stellt nicht zuletzt auch sicher, dass genügend Kapital bereitsteht für einen rascheren Ausbau der Kapazitäten.

Forschungsoffensive

Nestlé wird nun zwei neue chinesische F&E-Zentren in Xiamen und Dongguan errichten, die zur Unterstützung der speziellen Produkte von Yinlu und Hsu Fu Chi bestimmt sind. Bei der Tochter Yinlu, deren Umsatzvolumen auf umgerechnet 1 Mrd. Fr. veranschlagt wird, ist überdies ein Ausbau der Produktionseinheiten vorgesehen, mit zwei neuen Werken in den Provinzen Anhui und Szechuan; das Investitionsvolumen beläuft sich auf 500 Mio. $.

Neue Akquisitionen in China will Nestlé zwar nicht ausschließen; die Verantwortlichen sprechen aber davon, dass es derzeit genug zu verdauen gebe und man mittlerweile gut positioniert sei. Einerseits vertraut man auf die Marke Nestlé, wenn es – wie etwa bei Kaffee – darum geht, als ausländisches Produkt wahrgenommen zu werden oder – wie im Falle von Babynahrung – das Gefühl von Sicherheit eines Schweizer Herstellers zu vermitteln. Anderseits verfügt Nestlé über chinesische Marken, die beim Konsumenten bekannt sind und über breite Absatzkanäle vertrieben werden; die Fläschchen mit Erdnussmilch der Marke Yinlu sind in China in mehr als 1 Mio. Verkaufsstellen erhältlich.