Frankfurter Allgemeine 28.
April 2012
Deutsch-chinesische
Wirtschaftsbeziehung Roter Teppich für China
28.04.2012 · Hannover, Wolfsburg, Peking:
Die Deutschen hofieren die Chinesen. Die freie Welt wird von der unfreien abhängiger. Und auch ethisch ist es bedenklich, das
repressive System weiter zu stärken.
Von Christian Geinitz, Johannes Ritter
Artikel Bilder (1)
Lesermeinungen (11)
© dpa Strahlende Einheit: Der chinesische
Ministerpräsident Wen Jiabao und Kanzlerin Angela
Merkel
Die A2 ist eine vielbefahrene
Autobahn. Aber die Kolonne, die sich am vergangenen Montag von Hannover aus
Richtung Osten in Bewegung setzt, muss keinen Stau fürchten. Denn die Polizei
hat ganze Arbeit geleistet: 80 Kilometer der meist dreispurigen Asphaltpiste
sind an diesem Mittag für den normalen Verkehr gesperrt, Brücken und Parkplätze
abgeriegelt. Wir machen den Weg frei - für Wen Jiabao,
Superstar.
Der chinesische
Ministerpräsident sitzt mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem
abgedunkelten Bus. Das schwarze Gefährt bildet das Herz der zu schützenden
Reisegruppe. Bei solch einem Aufwand muss es sich eigentlich um einen eminent
wichtigen Termin handeln, zu dem die beiden an diesem sonnigen Frühlingstag
unterwegs sind. Wollen sie den Euro und Europa retten? Geht es um
milliardenschwere Anleihekäufe? Oder sollen die Chinesen vielleicht Opel aus
den Fängen der Amerikaner befreien? Nichts dergleichen. Der Tross fährt in das
Wolfsburger VW-Werk zu einer Vertragsunterzeichnung. Treffpunkt: Logistikhalle
12. Auch hier, im gut geschützten Innersten des VW-Reichs, herrscht Sicherheitsstufe
eins. Scharfschützen auf dem Dach, Spürhunde im Gebüsch. Und unten, auf dem
roten Teppich, empfangen der VW-Chefaufseher Ferdinand
Piëch und sein Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn den hohen Besuch.
Freudestrahlend.
Ein Sechser im Lotto für VW -
und China
Kurz darauf sitzen Winterkorn
und Hu Maoyuan, Chef des chinesischen
Partnerunternehmens Saic, an einem schwarzen Tisch in
der geschmückten Werkshalle. Hinter ihnen stehen Merkel und Wen. Die Kanzlerin
im hellblauen Blazer, der Premier im dunklen Zwirn. Zu tun haben die beiden
nichts. Sie bezeugen Vorgänge, die längst beschlossene Sache waren: den Bau des
15. Werkes in China und die Verlängerung des Joint-Venture-Vertrags mit Saic.
Für VW und für Chinas Führung
ist dieses gut inszenierte Schauspiel wie ein Sechser im Lotto. Die angereisten
Filmteams und Fotografen aus China transportieren die Bilder in ihre Heimat, wo
sie als höchste Zeichen der Wertschätzung für die Automarke wahrgenommen werden
- und als Propagandaerfolg der eigenen Führung. „Seht her“, lautet die Botschaft, „sogar die deutsche Regierung und Industrie stehen Spalier, wenn wir
kommen.“
Die Wertschätzung der
Deutschen hat einen guten Grund. Das Fernostgeschäft ist für Volkswagen zu
einer tragenden Säule geworden. Nirgendwo laufen die Verkäufe besser, mehr als
ein Viertel des Konzernabsatzes entfällt auf China. Auch für Mercedes, BMW oder
Porsche wird das Land auf absehbare Zeit der wichtigste Markt der Welt. In
weiteren deutschen Schlüsselbranchen sieht es ähnlich aus, etwa im
Maschinenbau, in der Elektroindustrie oder in der Chemiewirtschaft.
Fröhliche Eintracht ohne
Grenzen
Wie wichtig die Volksrepublik
ist, zeigt sich auf der Hannover Messe, der weltgrößten Industriegüterschau. In
diesem Jahr ist China hier Partnerland. Wen eröffnet die Veranstaltung und ist
- neben der Kanzlerin - ihr unangefochtener und viel umschmeichelter
Mittelpunkt. Das zeigt sich auch beim traditionellen Messerundgang, zu dem sich
Merkel und Wen am Montagmorgen gemeinsam aufmachen. Vor einer Hundertschaft
chinesischer Journalisten, die sich um die besten Film- und Fotoplätze prügeln,
inspizieren sie allerlei Objekte chinesischer und deutscher Ingenieurskunst (in
genau der Reihenfolge) und signalisieren dabei fröhliche Eintracht ohne
Grenzen.
Noch können die Chinesen den
Deutschen bei der Qualität der Investitionsgüter nicht das Wasser reichen. In
der Quantität aber drängen sie immer ungestümer auf die Weltmärkte. Auf der
Messe werden nackte Zahlen anschaulich: China ist für Deutschland eines der Hauptinvestitionsgebiete
und zugleich der wichtigste Handelspartner außerhalb der EU. Bis 2015 soll das
Import- und Exportvolumen von 190 auf 280 Milliarden Dollar steigen. Neuerdings
kommen aus keinem anderen Land so viele Investitionsanträge nach Deutschland
wie aus China.
Die Käufe von Medion, Putzmeister oder Schwing sind nur die bekanntesten.
Was im Kleinen gilt, gilt auch im Großen. China und Deutschland sind die
dominanten Exportnationen der Welt und die stärksten Volkswirtschaften ihrer
Erdteile, international rangieren sie auf den Plätzen zwei und vier. In der
Krise ist Chinas Bedeutung noch gewachsen. Die Atommacht, deren Wirtschaft seit
Beginn der Öffnungspolitik vor 30 Jahren um durchschnittlich 10 Prozent im Jahr
wächst, ist mit 3.200 Milliarden Dollar der reichste Devisenbesitzer des
Planeten und der wichtigste Gläubiger Amerikas. Die EU und mit ihr die
Kanzlerin hoffen auf finanziellen Beistand aus Peking, um die Schuldenkrise zu
bewältigen.
Niemand wagt es, Klartext zu
reden
China ist, wie man heute sagt,
„systemrelevant“ für die deutsche und die internationale Wirtschaft geworden. Es ist „too big to fail“, zu groß, um zu scheitern. Deshalb legt sich niemand mit dem Land an, die
Regierungen nicht und die Unternehmen schon gar nicht. Grund dafür gäbe es
genug: Selbst wer hinnimmt, dass China keine Demokratie ist, darf zur fehlenden
Rechtsstaatlichkeit und den eklatanten Menschenrechtsverletzungen nicht
schweigen. Deutschland erst recht nicht, denn das Land weiß am besten, wie
wichtig Einmischung von außen in Zeiten der Unterdrückung ist.
Doch weder in Hannover noch in
Wolfsburg, in diesem eigenartigen Gemisch aus Regierungstreffen,
Industriepolitik und Geschäftsabschlüssen, wagt es jemand, Klartext zu
sprechen. Niemand erwähnt die Arbeitslager, die Todesstrafe, die Folter, die
Zwangsabtreibungen, die Zensur, die Internetüberwachung, die Lage in Tibet oder
das Verschwindenlassen Hunderter von Anwälten und
Dissidenten.
In China selbst ziehen Politik
und Wirtschaft ohnehin an einem Strang, zwangsweise. Das gilt sogar für
ausländische Investoren, die sich immer häufiger vor den Karren des
autokratischen Systems spannen lassen. Die Autoindustrie ist dafür ein gutes
Beispiel. Nichtchinesische Hersteller sind zu Gemeinschaftsunternehmen
gezwungen, in denen sie nicht die Mehrheit halten dürfen. Da die Partner
zumeist Staatsunternehmen sind, unterliegen die Fremden auf doppelte Weise der
Aufsicht und dem Druck der Regierung: durch die Behörden und im eigenen Haus.