Der Standard 29. Mai 2012
Lhasa
Mönche verbrennen sich in
Tibets Hauptstadt
Johnny Erling aus Peking, 28.
Mai 2012, 08:53
foto:
greg baker, file/ap/dapd
Ein Archivbild aus dem Juni
2009: Sicherheitskräfte bewachen den Platz vor dem Jokhang-Tempel in Lhasa.
Nach dem Dalai-Lama-Besuch
kommen aus China Drohungen gegen Österreich
Sie wurden die Opfer Nummer 36
und 37 in einer seit drei Jahren anhaltenden Serie von Selbstverbrennungen
tibetischer Mönche, Nonnen und Pilger. Vor dem Heiligtum des
Jokhang-Tempel übergossen sich zwei junge Männer am Sonntag mit Benzin
und steckten sich in Brand. Beide standen plötzlich, mitten in der Pilgerschar
auf dem Barkhor-Markt, in Flammen. Es war das erste Mal, dass Tibeter auch in
der tibetischen Hauptstadt mit versuchten Selbstmorden gegen die chinesische
Herrschaft protestierten.
Die Nachrichtenagentur Xinhua
gab die Namen der vermuteten Mönche oder Pilger mit Tobgye Tseten und Dargye
an. Sie sollen aus den tibetischen Gebieten in Sichuan und Gansu stammen.
Massive Bereitschaftspolizei, von der es um den Potala-Palast und auf dem
Barkhor wimmelt und die auf Protest-Selbstmorde vorbereitet sind, hätten die
Flammen innerhalb von nur zwei Minuten löschen können. Aber das war zu spät.
Nur Dargye überlebte mit schweren Brandwunden.
Der US-Radiosender Radio Free
Asia berichtete: Das Gebiet sei sofort abgeriegelt worden, paramilitärische
Polizei aufgezogen. Alle Kontrollen wurden verschärft. Nachdem sich die
Nachrichten nicht mehr geheimhalten ließen, berichtete auch Xinhua, 20 Stunden
nach den Selbstverbrennungen. Die Sicherheitsbehörden wollten nun eine
spezielle Untersuchungsgruppe einsetzen. Was immer sie ermitteln werden, bleibt
ihr Geheimnis: Peking erlaubt keine öffentliche und schon gar keine unabhängige
Untersuchung der Selbsttötungen.
Wegen der Treffen des Dalai
Lama mit österreichischen Spitzenpolitikern übte Peking erneut zornige Kritik.
Das Außenministerium warf Wien Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten
vor. Außenamtssprecher Hong Lei sprach laut "Global Times" von einem
"falschen Signal" an die Unabhängigkeitskräfte. Das Blatt zitierte am
Montag den Tibet-Experten der Pekinger Universität für Minderheiten, Xiong
Kunxin: "Wenn es nötig ist, sollte China zu Wirtschafts- oder
Handelsmaßnahmen als Vergeltung greifen."
Großbritannien bekam das
bereits zu spüren: Laut "South China Morning Post" hätte Chinas
Parlamentspräsident Wu Bangguo einen geplanten Besuch in England gestrichen.
Grund: ein Treffen von Premier David Cameron vergangene Woche mit dem Dalai
Lama. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 29.5.2012)