Der
Hexenkessel Chinas
Standard
Blog | An Yan, 27. August 2012,
19:09
Polizei beginnt in Ganzi urplötzlich mit der Absperrung der Straßen.
In jedem kleinen Ort gibt es eine
Polizeistation, die absolute Mehrheit der Beamten sind Han-Chinesen, die
hierher versetzt wurde.
In der Präfektur Ganzi treffen Han-Chinesen und Tibeter aufeinander – und die Lage ist nicht gerade entspannt
Selten habe ich so einen ausgeprägten Rassismus gespürt wie im Westen Sichuans. Die Fronten zwischen den han-chinesischen
Autoritäten und den tibetischen Bewohnern sind extrem verhärtet.
"Tibeter sind alle Verbrecher!"
Aus einer Provinz kommend, in der es viele Minoritäten gibt, war ich es
gewöhnt Alltagsrassismus à la "das sind halt bissl
zurückgebliebene Bergleut" zu hören. Ich war
allerdings vollkommen schockiert, als mich in Sichuan
sogleich ein Soldat eindringlich davor warnte, alleine in der Region
herumzureisen: "Hier ist es nicht sicher für dich, hier sind so viele
Tibeter. Pass nur auf die Tibeter auf, sie sind alles Verbrecher und Diebe und
Räuber, wirklich. Sie überfallen Leute in den Bergen und klauen alles, was sie
können. Sie sind Barbaren, ein zurückgebliebenes Volk. Sieh sie doch an, mit ihren
langen Haaren und voll gehängt mit Schmuck, trinken den ganzen Tag diesen
grauslichen Buttertee und essen Brei - kein Wunder, dass sie so unterentwickelt
sind. Sie können ja nicht mal Chinesisch! Aber wir sind ja jetzt da, bauen für
sie Straßen und Flughäfen, irgendwann wird es schon werden. Aber bis dahin
solltest du wirklich auf dich aufpassen, hier ist es nicht sicher!" Er war
so überzeugt von seiner Einschätzung der Lage, dass er einen Umweg von 30
Kilometern in Kauf nahm, um mich in vermeintlicher Sicherheit einer Stadt
abzusetzen.
Auch Polizisten sind nicht viel offener: Als ich auf einer
Polizeistation mit einem Beamten sprach, warnte er mich eindringlich vor den
gefährlichen Tibetern, die anscheinend nichts anderes im Sinn haben, als mich
auszurauben. Der Mann wurde von der Umgebung von Chengdu in einen kleinen Ort
nahe der Grenze zur Autonomen Region Tibet versetzt, was er als einen schweren
Schicksalsschlag versteht. Seine Frau, die mit dem gemeinsamen Kind jedes Jahr
für einige Monate auf der Polizeistation ihren Mann besucht, erzählt mir, dass
sie es hier kaum aushält und dass "es nicht gut für das Kind ist, hier zu
wohnen. Es wird ganz wild und redet plötzlich komisch. Ich kann es kaum
erwarten, wieder nach Hause zu fahren." Auf die Idee, dem Kind Tibetisch
beizubringen, weil der Vater doch noch mindestens 20 Jahre hier leben wird,
kommt sie nicht, vielmehr weigern sie sich selbst diese Sprache zu lernen.
Schlagstöcke statt Erklärungen
Wie einschüchternd die Polizeipräsenz auf die Anwohner wirkt, durfte ich
am eigenen Leib erfahren. Als in der Präfektur-Hauptstadt Ganzi
ein Staatsbesuch von einem Politiker anstand, tauchten urplötzlich zahlreiche
mit Panzerglasschilden, Schlagstöcken und Maschinengewehren bewaffnete
Polizisten auf. Der komplette Straßenverkehr wurde mit einschüchternden
Schreien urplötzlich umgeleitet und gestoppt, und bis heute weiß ich nicht
genau, was an dem Tag eigentlich passiert ist, genauso wenig wie die Anwohner.
Auf Fragen, was passieren solle, wann der Verkehr wieder freigegeben wird, in
wie vielen Tagen wieder Busse verkehren könnten, gab es den nicht gerade
höflichen Hinweis, ich solle mich gefälligst hier wegscheren.
Später konnten meine tibetischen Freunde nicht glauben, dass ich so
leichtsinnig gewesen war und mich von selbst an die Polizei gewandt habe -
viele meinten, dass ich ein Heidenglück gehabt hatte, nicht für unbestimmte
Zeit im Gefängnis zu landen. Gerade in unangenehmen Situationen wollen die
Behörden alles andere als rumschnüffelnde Ausländer vor Ort haben. Hier
lebenden Tibeter sind anscheinend wehrlos der Willkür der nicht gerade
zimperlichen Autoritäten ausgeliefert. Mönche erzählten mir, dass viele
Bekannte und Freunde ohne Warnung verschwunden und oft nicht mehr aufgetaucht
seien.
Tiefsitzende Vorurteile
Die oben zitieren Beamten, mit denen ich länger sprach, waren alle keine
Unmenschen; sie hatten die besten Absichten und waren tatsächlich davon
überzeugt, mir mit ihren Warnungen das Leben zu retten. Ich weiß nicht, woher
dieser tief sitzende Rassismus kommt, doch es ist durchaus möglich, dass er
Teil der Ausbildung ist, die Beamten erhalten, bevor sie in die tibetischen
Gebiete kommen. Besonders die Präfektur Ganzi in Sichuan, die als Unruheherd Chinas gilt, hat einen so
schlechten Ruf, dass nur besonders schlecht qualifizierte Polizeibeamte hierher
versetzt werden, und diese verstehen es dann auch als Strafe.
Die meisten Selbstverbrennungen von Mönchen und Demonstrationen
geschehen hier, da in der hoch kontrollierten Autonomen Region kaum Widerstand
möglich ist. Hier hängt in jedem Tempel trotz aller Verbote ein Bild des Dalai
Lama, und die Leute gelten als aufständisch und barbarisch. Dass die lokalen
Sitten sich so stark von den Han-Gebräuchen unterscheiden wie nur möglich,
erleichtert die Völkerverständigung nicht gerade. Selbst relativ neutral
sprechende Han-Chinesen wundern sich, dass ich mich nicht über die langen Haare
der Männer und das "schreckliche" Essen aufrege. Ich erzähle ihnen
lieber nicht, dass ich mich hier es sogar ausgesprochen gut fühle. (An Yan,
27.8.2012, daStandard.at)
Weit, weit
weg
Blog | An Yan, 21. August 2012,
05:30
Die Bundesstraße von Shangri-La nach Xiancheng.
Eine der seltenen Strecken mit
asphaltierter Straße...
wenn auch nicht überall sicher.
Yaks, tibetische
Hochgebirgsrinder, sind ein normaler Anblick.
Einer der vielen Tempel, aufwändig
gebaut und verziert. Die Häuser daneben sind Mönchsunterkünfte.
Große Teile des Landes sind
unbewohnt, bis auf gelegentliche Zelte der Yakzüchter,
die im Sommer ihre Tiere auf Hochgebirgswiesen weiden lassen.
"Es fehlt Sauerstoff, nicht die
Lebenskraft" - Ein Slogan auf einem Verwaltungsgebäude in Litang, eine der höchstgelegenen Städte der Welt
Tibet ist viel weiter weg als man
denkt – denn Entfernungen sind nicht nur in Kilometern messbar
Es gab nun schon seit zwei Wochen keinen neuen Blog von mir. Der Grund
ist schlicht und einfach: Ich hatte keine Möglichkeit auf das Internet
zuzugreifen. Ich war in den tibetischen Gebieten Chinas wohl so weit von
Internet und modernen Medien entfernt, wie man es nur sein kann. Dafür gab es
Yaks, Tempel und eine der höchsten Städte der Welt.
Yakbutter
statt grüner Tee
Wenn man in den Norden von Yunnan und dann weiter nach Norden reist, befindet man sich
in tibetischem Gebiet. Offiziell gehört es zwar nicht zur Autonomen Region
Tibet, aber faktisch ist die vorherrschende Kultur tibetisch. Man steht
plötzlich alleine da mit Mandarin-Kenntnissen und chinesisches Essen zu
bekommen, wird immer schwerer. Grüner Tee ist auch eine Seltenheit. Dafür
weiden riesige Hochgebirgs-Yaks am Straßenrand und man wird überall auf einen Yakbuttertee eingeladen, an den sich die westlichen
Geschmacksnerven und Mägen zuerst einmal
gewöhnen müssen. „Aber du hast keine Wahl. Erstens: Es gibt hier sonst nichts zu trinken.
Zweitens: Er ist gut gegen die Höhenkrankheit und die chronischen Erkältungen,
die Jeder in den Gebiet aufgrund des Klimas hat. Also gewöhn dich lieber
schnell dran!", lacht mich ein tibetischer Bekannter aus. Ob der Tee
wirklich alle Wunderwirkungen hat, die ihm zugesprochen werden, weiß ich nicht.
aber zumindest werde ich auch in Litang, einer der
höchstgelegenen Städte der Welt, nicht höhenkrank, und das ist schon einmal
eine große Erleichterung.
Überall Yaks
In einer Region, in der es neben Gras und Sträuchern kaum Vegetation
gibt, leben die Meisten von Selbstversorgung, und zwar vorwiegend von ihren
Yaks, die ihnen von Milchprodukten über Fleisch und Wolle alles liefern, was
man für den
Grundbedarf braucht. Tibeter respektieren diese und der Reichtum einer
Familie wird oft an ihrem Bestand an Yaks gemessen; ein ausgewachsenes Tier
kostet je nach Region um 1000 Euro.
Ohne Tempel geht gar nichts
Jede kleine Ortschaft hat in dieser Gegend zumindest eine Stupa,
idealerweise einen Tempel, wie klein er auch sein mag. Tempel sind, abgesehen
von dem eigenen Zuhause, der wichtigste Ort für Tibeter, die für den Erhalt der
Tempel sowohl Geld als auch Arbeitskraft, Zeit und Familienmitglieder opfern.
Sie gehen regelmäßig in den Tempel, spenden für den Erhalt, helfen bei
anfallenden Arbeiten mit und schicken ihre Kinder als Mönche (und seltener
Nonnen) in die Tempel zum Studieren. Die in der Kulturrevolution mit so viel
Elan zerstörten Tempel wurden in der Zwischenzeit mit mindestens genauso viel
Energie wieder aufgebaut, vielerorts prächtiger als zuvor. Wenn Tibeter überhaupt
reisen, dann entweder zu Familienmitgliedern, illegal nach Indien zum Dalai
Lama oder zu berühmten Tempeln. Die Tibeter nutzen die mittlerweile erteilte
Religionsfreiheit der Zentralregierung deutlich aus.
Weit, weit weg
Die absolute Entfernung von Großstädten wie Chengdu oder Xining ist
eigentlich gar nicht groß - doch hohe Berge, extreme Wetterverhältnisse und der
Zustand der Straßen macht eine effiziente Verkehrsanbindung wahnsinnig schwer.
Nie hätte ich gedacht, dass einhundert Kilometer an einem Tag zu bewältigen so
mühsam sein kann, doch die Straße von Ganzi, immerhin
der Hauptstadt der Präfektur, nach Dege, wo das
größte Kloster der Region steht, ist selbst im Sommer eine Qual. Es gibt zwar
offiziell öffentliche Busse, aber die brauchen sehr lange Zeit und man kann nur
beten, dass die hochbetagten Fahrzeuge nicht mitten drin zusammenbrechen und
ihren verdienten Tod sterben.
Hier ist das Reich der Allradfahrzeuge und Lastwagen. Dementsprechend
mangelhaft ist die Versorgung mit vielen Gütern. Gemüse ist relativ rar; Obst
ist kaum erhältlich und beides ist horrend teuer: Ein normales Gemüsegericht,
das in Kunming etwa acht Yuan kostet, ist hier nicht unter 15 Yuan zu haben.
Die Tibeter selbst stört das wenig, denn sie ernähren sich vorwiegend von Yakmilchprodukten, Fleisch und Tsamba,
einem Brei aus gemahlener Gerste. Nur die Han-chinesen und die Handvoll
Reisender haben es schwer, sich ihren Gewohnheiten entsprechend zu ernähren.
Aber nicht nur die Versorgung mit dem gewohnten Essen ist schwierig. Mobiltelefone
funktionieren zwar, dafür ist oft keine Guthaben-Karte erhältlich. Ich musste
tagelang auf das Aufladen meiner Handykarte warten, weil regelmäßig die letzte
Woche vor Ende des Monats die Guthabenkarten ausverkauft sind und der Nachschub
immer erst Anfang des nächsten Monats kommt. Internetverbinndung ist selbst in den"großen" Städten äußerst rar und die
existierenden Internetcafés werden von Han-Chinesen betrieben, die den Gesetzen
entsprechend nur Leute an die Computer lassen, die einen chinesischen
Personalausweis besitzen - also keine reisenden Ausländer. Meine
Überredungsversuche waren erfolglos.