DER TAGESSPIEGEL
29.08.2012
Merkel
in China Wirtschaftsbeziehungen statt Menschenrechte
stärken?
Alles unter Kontrolle. Merkel rede in
Peking natürlich auch über Menschenrechte, heißt es aus Regierungskreisen – allerdings oft hinter verschlossenen
Türen. - Foto: AFP
Bundeskanzlerin
Angela Merkel fliegt mit großem Gefolge nach Peking. Dort wirbt sie für die
Stabilisierung des Euro. Kritiker warnen, dass sich Merkel wegen Deutschlands
Abhängigkeit von China in der Schuldenkrise in Menschenrechtsfragen
zurückhalten wird.
Die Grünen wussten schon vor der Abreise nach China, was die Kanzlerin in Peking alles falsch machen wird: Nur noch um „knallharte Wirtschaftsinteressen“ kümmere sich Angela Merkel mittlerweile, sie habe „jede echte menschenrechtliche“ Orientierung ihrer Außenpolitik abgelegt“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon vor den zweiten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am Ende der Woche. Ganz allein steht sie nicht mit ihrem Urteil. „Merkel hält sich in Menschenrechtsfragen viel stärker zurück als früher“, sagte etwa der China-Experte und Direktor der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, Eberhard Sandschneider, dem „Spiegel“.
Tatsache
ist: Für die Bundesregierung ist Peking ein ganz entscheidender Player im Ringen um den Euro. Und Merkel will bei ihrem
zweitägigen Besuch deshalb auch um ein weiteres Engagement der Volksrepublik im
Kampf gegen die Krise werben. Die Deutschen setzen auf einen konstruktiven
Beitrag Chinas bei der Beurteilung der Reformfortschritte in Griechenland durch
die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds
(IWF) im Oktober. In den Augen der Bundesregierung spielt Peking in der
Schuldenkrise über den IWF schon bisher eine sehr wichtige Rolle. Zudem hofft
Berlin, dass Peking direkt Staatsanleihen der Krisenländer Spanien und Italien
kauft. Wegen der hohen Zinsen sei das attraktiv, sofern China nicht befürchten
müsse, in einem Schuldenschnitt Kapital zu verlieren, hieß es.
Der
These von der Vernachlässigung der Menschenrechte wegen der Abhängigkeit von
China in der Schuldenkrise wurde aus Regierungskreisen am Dienstag energisch
widersprochen. „Was
die Priorität des Themas anbelangt, hat sich nichts geändert“, hieß es.
Menschenrechte stünden bei jedem Besuch in Peking auf der Tagesordnung.
Allerdings werde die Debatte über sie von Merkel oft hinter verschlossenen
Türen geführt.
Die
Intensität der Zusammenarbeit bei den Regierungskonsultationen mit Peking soll
unterstreichen, welche Bedeutung die Deutschen dem Schwellenland sowohl als
Wirtschaftspartner wie auch als globaler Gestaltungsmacht zumessen. Sieben
Minister, zwei Staatssekretäre und eine Wirtschaftsdelegation aus
Dax-Unternehmen und Mittelständlern begleiten die deutsche Regierungschefin.
Merkel trifft Ministerpräsident Wen Jiabao, Staats- und Parteichef Hu Jintao
sowie den designierten Nachfolger Wens, Li Keqiang, und den voraussichtlich
nächsten Staats- und Parteichef Xi Jinping. Gemeinsam mit Wen
will Merkel das Airbus-Werk in Tianjin besuchen. Der Flugzeughersteller hofft
auf weitere Aufträge für China. Der Vorstandschef Airbus-Mutter EADS, Tom
Enders, wird jedoch wegen einer Sportverletzung nicht dabei sein, wie ein
Sprecher am Dienstag erklärte.
Die
Handelsbeziehungen beider Länder sind laut Bundesregierung auf „sehr hohem und positivem Niveau“. Das
Handelsvolumen war von 2010 auf 2011 um elf Prozent auf 144 Milliarden Euro
angestiegen, die Handelsbilanz ist ausgeglichen, Deutschland exportiert im
gleichen Wert, wie es importiert. Die Summen der gegenseitigen
Direktinvestitionen klaffen jedoch noch weit auseinander: Deutschland hat in
China 26 Milliarden Euro investiert, China umgekehrt nur 1,2 Milliarden.
Allerdings hat sich diese Summe in den vergangenen Jahren verdreifacht.
Amnesty
International (AI) warnt davor, wegen der zentralen Funktion Chinas bei der
Bekämpfung der Schuldenkrise den Einsatz für Menschenrechte in dem Land zu
vernachlässigen. „Eine
Verbesserung der Menschenrechtslage in China einzufordern, ist schwieriger
geworden, weil sich die chinesische Regierung der wachsenden internationalen
Bedeutung des Landes bewusst ist“, sagte der Generalsekretär von AI
Deutschland, Wolfgang Grenz, dem Tagesspiegel. Gerade deshalb sei es wichtig,
dass die Bundeskanzlerin von der chinesischen Führung die Einhaltung
internationaler Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte „mindestens genauso deutlich“
einfordere, wie die Bundesregierung dies „in den für die Wirtschaft relevanten Bereichen“
tue. „Andernfalls machen
sich Deutschland und Europa unglaubwürdig“, warnte Grenz.