Menschenrechtsdialog mit
China „Zu einem diplomatischen Ritual verkommen“
Die Politikwissenschaftlerin Katrin Kinzelbach hat über den Menschenrechtsdialog der EU mit
China geforscht – und ist zu ernüchternden Erkenntnissen gelangt.
Die Bundeskanzlerin will in China über ihre „Überzeugungen
und Werte so sprechen wie in Deutschland“. Wird sich Peking in seiner
Menschenrechtspolitik davon beeindrucken lassen?
Das hängt davon
ab, wie sie das Thema anspricht. Wenn sie nur in allgemeiner Form von ihren
Überzeugungen und Werten spricht, wird es niemanden beeindrucken. Denn Peking
weiß sehr genau, dass westliche Politiker auf die Erwartungen ihrer Wähler
eingehen müssen, insofern werden allgemeine Bemerkungen zum Thema
Menschenrechte als Teil des politischen Pflichtprogramms toleriert. Sollte sie
jedoch konkreter werden, würden ihre Worte natürlich beachtet.
Angela Merkel
repräsentiert als deutsche Bundeskanzlerin nicht nur einen wichtigen
Handelspartner Chinas, sie wird in Peking als vielleicht einflussreichste Politikerin
Europas angesehen. Würde sie persönlich Einzelfälle ansprechen oder zum
Beispiel vor einer Legalisierung heimlicher Hausarreste durch die derzeit
diskutierte Novellierung des Strafprozessrechts warnen, wäre das ein deutliches
Signal.
Sie haben über den EU-Menschenrechtsdialog mit China geforscht. Zu
welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?
Der Menschenrechtsdialog der Europäischen Union wurde 1995 auf Vorschlag Chinas
begonnen. Im Gegenzug sollte die EU zusichern, Chinas
Menschenrechtssituation nicht mehr öffentlich in der UN-
Menschenrechtskommission zu kritisieren. Das für Peking heikle Thema
Menschenrechte wurde so hinter verschlossene Türen verbannt. Ein diplomatisch
kluger Schachzug, wie Kritiker von Anfang an bemerkten. Aber in der EU hoffte
man Mitte der 90er Jahre auch, dass ein vertraulicher, regelmäßiger Dialog mit
Peking Raum für konstruktiven Austausch bieten könne. Dies hat sich leider
nicht bewahrheitet. Ein wichtiger Grund ist der Gesprächspartner: Das
chinesischen Außenministerium hat kaum innenpolitischen Einfluss und verfolgt
vor allem das Ziel, Kritik aus dem Ausland einzudämmen. Der Menschenrechtsdialog
ist daher zu einem diplomatischen Ritual verkommen. Und es verwundert nicht,
dass die chinesische Delegation dabei in den letzten Jahren immer
selbstbewusster auftritt. Kürzlich hat Peking die Frequenz des
Menschenrechtsdialogs auf einmal im Jahr reduziert, gegen den Willen der EU.
Hat der Menschenrechtsdialog in
China etwas bewirkt – wie stellt sich die
Situation im Land heute dar?
Menschenrechtsorganisationen berichten von einer dramatischen Zuspitzung
politischer Kontrolle in China – und von einer Welle außergewöhnlich
harter Haftstrafen für Dissidenten. Es gab aber auch positive Entwicklungen.
Zum Beispiel wurde 2003 eine Form der Verwaltungshaft abgeschafft, 2004 wurde
der Menschenrechtsschutz in die chinesische Verfassung aufgenommen. Seit 2007
wird jedes Todesurteil vom Obersten Volksgerichtshof überprüft, was vermutlich
zu einem Rückgang der Vollstreckungen geführt hat. Es gibt auch neue
Bestimmungen, die durch Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht anfechtbar
machen. All diese Entwicklungen gehen jedoch vor allem auf inländische
Forderungen zurück. Das westliche Ausland konnte bisher nur durch Druck und
Anreize Einfluss nehmen, so wären die Untersuchungen des
Uno-Sonderberichterstatters über Folter 2005 in China ohne Druck aus den USA
vermutlich nicht möglich gewesen. Das gilt auch für mehrere Freilassungen
politischer Gefangener. Europas bedingungsloser Menschenrechtsdialog kann
dagegen keine derartigen Erfolge vorweisen.
Die Befürworter der „stillen Diplomatie“
argumentieren, offene Kritik würde China brüskieren und die Beziehungen
insgesamt gefährden. Was ist daran falsch?
Der institutionalisierte Menschenrechtsdialog isoliert ein brisantes Thema und
erleichtert somit die politischen Beziehungen mit China, das ist richtig.
Offene Kritik wird nicht goutiert, das ist auch richtig. Seit zwei Jahrzehnten
setzt Peking alles daran, genau diese zu unterbinden, zunächst eben mit
taktischen Zugeständnissen und nun mit der Androhung von politischen und
wirtschaftlichen Konsequenzen. Aber das bedeutet nicht, dass offene Kritik
falsch ist. Im Gegenteil – es zeigt, dass Peking auf Kritik
empfindlich reagiert.
Die eigentliche Frage ist doch:
Was ist uns die Menschenrechtspolitik wert? Sind wir bereit, im Namen der Menschenrechte
auch politische und wirtschaftliche Risiken einzugehen? Kurzfristige
Verstimmungen sind wahrscheinlich, aber das langfristige Risiko ist
vergleichsweise klein, das hat nicht zuletzt die deutsche Bundeskanzlerin mit
ihrem durchaus kritischen Ansatz in der Vergangenheit bewiesen.